[INTERVIEW] Paul Senftenberg

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Die Special Week ist fast vorrüber und bevor wir uns dem Leserinterview nebst Gewinnspiel näher, kommt nun das obligatorische Interview mit dem Autoren. Euch erwarten einige tolle Informationen über ihn und seine Werke, ebenso über seine Romane und Novellen.

http://www.paulsenftenberg.at/

Bitte erzähl uns ein wenig mehr von dir. Was machst du in deiner Freizeit?
Ich glaube, meine größte Leidenschaft spiegelt sich in einigen meiner Bücher wider: der Film. In „Eine ganz andere Liebe“ ist ein Freiluftkino, umgeben von alten Gemäuern, ein wesentlicher Schauplatz, und bei einer Vorstellung von „Frankenstein“ kommt es zum ersten Kuss der beiden Protagonisten. Auch der Höhepunkt der Geschichte findet in einem alten Kino, Lichtspieltheater genannt, statt. In „Damals ist vorbei“ ist ein ebensolches ehemaliges Lichtspieltheater der Ort, an dem Martin und seine Frau Margit eine Buchhandlung mit angeschlossener kleiner Galerie betreiben. Wahrscheinlich ist sogar mein Schreibstil, sind die kurzen Kapitel und das Springen zwischen verschiedenen Zeit- und Erzählebenen vom Aufbau von Filmen und besonders auch Fernsehserien à la „Lost“ beeinflusst . Kurz und gut, ich bin ein wahrer Filmfreak, würde ich sagen, wobei ich total auf Horror und Thriller stehe (es aber kaum ein Genre gibt, das ich gar nicht mag), sowohl wirklich gut gemachte Blockbuster (ich liebe James Bond und „Star Wars“), als auch intellektuelles Arthouse mag. Worum es mir geht, ist, überrascht zu werden, sowohl von der Geschichte und den Charakteren her, als auch von der Machart. „Slow West“ war da in jüngster Zeit ein gutes Beispiel – sehr cool der Moment, als der Protagonist mit der bloßen Hand einen Pfeil abfängt.

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Weitere Hobbies von mir sind natürlich Lesen und das Schreiben, ich reise auch sehr gern, wobei das bei mir nicht bedeutet, zwei Wochen am Strand zu liegen, sondern die Kultur und die Menschen eines Landes kennenzulernen. Die Welt ist zu groß und es gibt noch so viele Ziele, die mich interessieren würden, da wäre es mir zu schade, die Zeit mit Nichtstun zu vergeuden. Fotografieren, besonders auf den Reisen, interessiert mich auch, ich bin da aber ein absoluter Amateur. Ich gärtnere auch ein wenig. Und last but not least gehört auch regelmäßiges Fitnesstraining zu meinen Freizeitbeschäftigungen. Du sieht, langweilig wird mir nie!

Wann hast du mit dem Schreiben begonnen? Gab es einen Auslöser, der dich zum Schreiben brachte?
Ich schreibe, seit ich denken kann, wobei es ganz gut ist, dass die ersten Versuche nicht veröffentlicht wurden. An einen konkreten Auslöser kann ich mich nicht erinnern, da waren einfach immer Geschichten in meinem Kopf, die hinaus mussten, sonst wäre er zerplatzt 😉 Als Moment der Erkenntnis möchte ich bezeichnen, als ich als Jugendlicher zu Weihnachten Bodo Kirchhoffs „Mexikanische Novelle“ geschenkt bekam. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, was man mit Sprache, mit schnörkellosen und dennoch extrem kunstvollen Sätzen, mit glasklarem Ausdruck, mit einfach den immer absolut perfekten Wörtern bewirken kann: Whow! Bevor ich mich ins schwule Genre gewagt habe, habe ich Bücher unter einem anderen Pseudonym herausgebracht. Irgendwie sehe ich es aber heute so, dass immer alles darauf hinausgelaufen ist, (auch) über schwule Charaktere zu schreiben.

Du hast einen sehr belletristischen Stil. Hast du dir das Schreiben selbst beigebracht oder auf anderem Wege gelernt?
Wenn du mit „belletristisch“ den eigentlichen Sinn des Wortes meinst, nämlich „schöngeistig, literarisch, unterhaltend“, dann kann ich sagen, dass ich natürlich hoffe, dass mein Stil in dem Sinne unterhaltend ist, dass er die Geschichte auf die mir bestmögliche Weise in Richtung der Leser transportiert. Mir ist extrem wichtig, dass sich keine oder möglichst wenige sprachlichen Klischees einschleichen. Besonders grauenhaft sind ja viele Vergleiche oder Metaphern, die man allenthalben lesen kann. Hemingway soll ja aus den ersten Fassungen seiner Texte die unnötigen Adjektive (und das waren für ihn sehr viele) herausgestrichen haben. Ich mag in meinen Büchern keine Passagen finden, die man als sprachlich banal bezeichnen könnte. Deshalb arbeite ich an jedem Kapitel so lange, bis aus meiner Sicht wirklich alles sitzt, ich arbeite es wieder und wieder durch, streiche heraus, formuliere um, und erst, wenn es für mich passt, beginne ich mit dem nächsten. Und wenn der ganze Text steht, fange ich nochmals mit dem Korrigieren an – ich kann mich ewig mit der richtigen Wahl eines Satzzeichens beschäftigen. Du wirst jetzt verstehen können, dass mir schlechter, klischeehafter, banaler Stil ein Gräuel ist … Beigebracht habe ich mir das selbst, gutes Schreiben kann man nur durch Schreiben (und natürlich auch Lesen guter Literatur) lernen. Ich denke, es gibt nur wenige Ausnahmeerscheinungen in der Literatur, die das gleich von Anfang an fast perfekt konnten. Ich habe gerade erst die Kurzgeschichten gelesen, die Truman Capote als Dreizehn- und Vierzehnjähriger geschrieben hat – phänomenal! Aber mit einem wie ihm kommt ohnehin kaum jemand mit.

Wie viel Zeit brauchst du, um ein Buch zu schreiben?
Wie du dir nach meinen obigen Erklärungen denken kannst, recht lang. Ich gehe mit einer Idee oft jahrelang im Kopf herum, dann kommt die Phase der unzähligen Notizen und deren Ordnung auf Karteikärtchen. Bei meinem Stil des oftmaligen Wechsels der Zeitebenen wäre es ohne die Kärtchen, die ich dann wie bei einem Puzzle ordnen kann, nicht möglich, Übersicht zu bewahren. Und dann muss der erste Satz hundertprozentig passen, damit die Geschichte daraus herausfließt. Ein schlechter erster Satz kann mich total blockieren. Auf die ersten Sätze aus „Damals ist vorbei“ und „Hände“ bin ich stolz. Wenn aus einem solchen gelungenen, zur Thematik und der Atmosphäre des Textes passenden ersten Satz ein gutes erstes Kapitel geflossen ist, geht’s mit dem Schreiben (trotz des vielen Korrigierens) relativ flott voran. Mehr als zwei Monate brauche ich dann nicht mehr. Aber meine Bücher sind ja auch nicht sehr dick.

Viele deiner Charaktere heißen Paul. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Da kann ich leider mit keiner geheimnisvollen oder spannenden Erklärung dienen. Ich finde schlicht und einfach den Vornamen Paul wunderschön, das ist für mich der schönste männliche Name überhaupt, kurz und kraftvoll, aber gleichzeitig doch auch sehr weich und anschmiegsam. Deshalb habe ich ihn mir als Künstlernamen gewählt. Und weil er mir so gefällt, heißen auch einige meiner Protagonisten so.

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Friedhof der Namenlosen – Damals ist vorbei

Einige deiner Bücher behandeln das Thema “Homosexualität und Ehe”, sprich deine Charaktere sind verheiratet und entdecken dann ihre Gefühle für einen Mann. Gibt es hierfür besondere Gründe oder reizt dich einfach nur das Thema? In diesem Zusammenhang: “Damals ist vorbei” ist dein Debüt – was hat dich bewogen eine solche Geschichte zu schreiben?
Mark Twain soll einmal gesagt haben, seine Bücher seien im Grunde genommen allesamt Autobiografien, da ein Autor immer nur davon gut schreiben könne, was er selbst erlebt habe. Deshalb bezweifelte er auch (wie manch andere) die Urheberschaft Shakespeares: Dass ein einzelner Mensch all diese Geschichten rein aus seiner Imagination verfassen könne, war ihm undenkbar. Im Kern gebe ich Twain recht – man sollte über das schreiben, wovon man auch etwas versteht. Doch ich denke, dass manauch nicht wirklich alles selbst erlebt haben muss, ich glaube schon auch an die Vorstellungskraft des menschlichen Geistes. Ohne jetzt weiter Details meiner eigenen Biografie geben zu wollen, kann ich dir sagen, dass meine Bücher zwar keine Autobiografien sind, sondern Fiktion, diese jedoch schon um einen realen Kern gesponnen wird; wenn ich nicht genau wüsste, wovon ich schreibe, wäre ich besonders bei „Damals ist vorbei“ zweifellos im Oberflächlichen, im Klischee stecken geblieben. Dass die Geschichte reale Wurzeln hat, dass sie mich persönlich berührt hat, war aber auch ganz klar der Anstoß, sie niederzuschreiben.

Mit “Der Stammbaum” wagst du den Schritt zur klassischen Novelle – war das Absicht oder hat sich die Geschichte von selbst in diese Richtung bewegt?
Ich arbeite meist ganz intuitiv. Ich weiß eigentlich meist schon bevor ich anfange zu schreiben, wie lang ein Text ungefähr werden wird, das sagt mir einfach mein Gespür für die Geschichte und ihre Stimmung. Ich hatte bei „Der Stammbaum“ das Gefühl, dass der Text zu lang für eine Kurzgeschichte werden würde, aber auch zu kurz für einen Roman. Als ich mich daraufhin mit der Gattung der Novelle beschäftigte, um Schulwissen aufzufrischen, stieß ich auf den Ausdruck „Ding-Symbol“. Da wurde mir schlagartig klar, dass es sich bei dem Stammbaum aus Messing, der dem Text den Titel geben sollte, um genau ein solches Ding-Symbol handelte und ich tatsächlich eine Novelle schreiben würde. Später freute ich mich sehr, dass der Homo Littera Verlag das kaufmännische Wagnis einging, sie zu veröffentlichen.

War es schwierig sich stilistisch dieser alten Literaturgattung anzupassen?
Wie gesagt arbeite ich sehr intuitiv. Als die Sache mit dem Titel und dem Symbol und damit die Frage der Gattung geklärt war, habe ich einfach meinen Text geschrieben. Eine kurze Geschichte, quasi abrupt und durchaus schmerzvoll herausgerissen aus der Realität der Charaktere, Ereignisse zwischen zweiMomenten, die ihr Leben geradezu umstülpen, sie zu einem Neuanfang zwingen. Ich habe nicht versucht, den Text mit Gewalt in irgendeine Richtung zu trimmen; nur was natürlich fließt, wirkt als Erzählung auch elegant.

“Hände” schneidet ein weiteres, eher ungewöhnliches Thema an. Wie bist du auf die Idee gekommen?
StammbaumZweierlei gab den Anstoß für meine Entwicklung der Geschichte. Da gab es vor einigen Jahren mal einen jungen Mann im Fitnesscenter, der nur einen Arm hatte, damit aber extrem geschickt umging. Er war auch ziemlich fesch, muss ich sagen. Und dann besichtigte ich eines Tages durch Zufall die romanische Kirche im Weinviertler Ort Schöngrabern. Die gotischen Fresken im Innenraum und die Steinerne Bibel an der Außenseite der Apsis faszinierten mich. Ich saß in dieser Kirche, und plötzlich begannen sich in meinem Kopf die Gedanken zu drehen – und ich hatte diese Geschichte.

Viele deiner Bücher haben offene Enden oder laden zum Interpretieren ein. Gibt es ein Buch, das du gerne fortführen würdest oder planst du irgendwann einen zweiten Teil zu deinen Werken?
Ich hasse bis ins letzte Detail vorgefertigte Enden, die den Lesern keinen Spielraum für eigene Interpretationen lassen, keine Möglichkeit, selbst verschiedene Varianten weiterzudenken. Die Zeiten des klassischen Romans des 19. Jahrhunderts sind vorbei, bei Dickens, der seine Charakterporträts sozusagen von der Geburt bis zum Totenbett erzählte, war das natürlich wunderbar, und auch wenn John Irving in einigen seiner Romane auf diese Tradition Bezug nimmt, ist das perfekt (er thematisiert das ja auch). Ein moderner realistischer Roman aber funktioniert nach meinem Empfinden anders. Nimm zum Beispiel „Damals ist vorbei“. Da gibt es am Ende die Variante, dass Martin zu seiner Frau zurückgeht und Thomas verlässt, oder jene, dass er mit Thomas beisammen bleibt und Margit verlässt, oder … Das Leben hat so viele Varianten parat, keine ist die allein gültige. Hätte ich mich für eine entschieden und diese niedergeschrieben, wären die anderen gestorben. Ist es aber nicht so, dass vielleicht gerade die Variante, für die sich zwei Menschen entscheiden, für die Umwelt undenkbar erscheint, für sie aber die beste ist? Und deshalb möchte ich auch keines meiner Bücher fortführen: Sie enden genau an dem Punkt, der für mich der richtige ist. Wenn sich Leser aber darüber hinaus mit der Geschichte und den Charakteren beschäftigen, freut mich das sehr. Und da dies bei der Figur des Manuel in „Hände“ bei so vielen der Fall war, haben wir ihn ja auch für unser Charakterinterview ausgewählt. Und eines möchte ich noch sagen: Ich sehe alle meine Bücher in einem engen thematischen Zusammenhang, und deshalb könnte der Protagonist des einen Buches auch durchaus in einem anderen auftauchen und hätte dort eine nachvollziehbare Rolle. Die Charaktere und Themen meines literarischen Kosmos, wenn man das so großspurig nennen will, sind miteinander sehr eng verwoben. Insofern sind auch keine dezitierten Fortsetzungen notwendig; man könnte sagen, dass jedes Buch in diesem Sinne eine Art Weiterschreibung der anderen ist.

Du arbeitest gerne sprunghaft, anstatt chronologisch. Warum diese Art zu schreiben? Was reizt dich daran zwischen Gegenwart, Vergangenheit und unterschiedlichen Perspektiven hin und her zu springen?
Ich kann mir kaum vorstellen, meine Geschichten einfach chronologisch zu erzählen. Ich finde, dass mein puzzleartiges Erzählen Spannung erzeugt. Wie schon gesagt bin ich hier sehr von Filmen oder besser gesagt Fernsehserien beeinflusst. „Lost“ mit all seinen Sprüngen in die Vergangenheit und dann auch die Zukunft hat hier Standards gesetzt, jüngst auch die Serie „The Missing“ um einen Vater auf der Suche nach seinem verschwundenen Sohn. Ich mag es nicht, wenn Romane Szenen aus verschiedenen Zeitebenen chronologisch erzählen, also die ersten hundert Seiten spielen im Jahr 2000 und die Händenächsten hundert zehn Jahre später oder so. Das empfinde ich als langweilig (wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen). Auch der Perspektivenwechsel erzeugt Spannung, zumindest hoffe ich das. Ist es nicht interessant, ein und das selbe Ereignis aus den Augen verschiedener Charaktere zu sehen? Das alles habe ich aber nicht erfunden, das sind gängige Mittel der Erzähltechnik.

Welche Figur ist deine Lieblingsfigur und warum?
Diese Frage kann ich dir beim besten Willen nicht beantworten, Juliane. Ich „liebe“ alle meine Figuren, wenn ich über sie schreibe, ich leide dann mit ihnen, ich empfinde ihre Gefühle so stark, dass ich oft von ihnen träume, als wäre ich sie. Sie sind alle in einem gewissen Sinne meine Kinder, und wenn ich auch keine meiner Figuren mit mir gleichsetzen kann, so ist doch ein Teil von mir (oder das Gegenteil eines Teils von mir) auch Teil ihrer Persönlichkeit.

Was sind Deine aktuellen Projekte? Auf was können sich die Leser als Nächstes freuen?
2016 wird bei Homo Littera ein Buch erscheinen, das mich schon seit langem beschäftigt hat und an dem mein ganzes Herzblut hängt: „Gay Movie Moments“ ist eine Sammlung von Essays zu den stärksten Momenten aus schwulen Filmen. Also die bewegendsten, spannendsten, dramatischsten, lustigsten, einfach intensivsten Szenen, meistens Augenblicke, in denen sich die Handlung zuspitzt oder entlädt, Gänsehautmomente des schwulen Films. Klassiker wie „Brokeback Mountain“ und „A Single Man“ finden sich darunter, auch Fernsehserien wie „Brothers and Sisters“ und „Spartacus“, und ich habe auch relativ unbekannte Juwele wie „Contracorriente“ und „Animals“ entdeckt, darunter ist einiges aus Spanien und Lateinamerika. Schreiben bedeutet für mich immer, so etwas wie Ordnung in das Chaos zu bringen, das mich umgibt oder in mir tobt. So habe ich schon vor Jahren begonnen, über Filmszenen, die mich bewegen, kleine Texte zu schreiben: um für mich persönlich eine gewisse Ordnung in die Vielzahl von Filmen zu bringen. Als Vorbild dafür möchte ich Wolf Wondrascheks „Menschen, Orte, Fäuste“ nennen. Darin finden sich einige ganz kurze Texte zu Plantagenhäusern am Mississippi, jeder für sich sprachlich und in der Struktur perfekt. Etwas in der Art schwebte mir vor: in meinen Möglichkeiten perfekt gestaltete Momentaufnahmen von Filmszenen. Ja, und mit der Zeit, je mehr solcher Texte ich gesammelt hatte, kam auch die Idee, sie einmal gesammelt in Buchform zu veröffentlichen. Ich bin froh, dass Homo Littera darauf eingestiegen ist. Es war ziemlich schwierig, die Rechte für die Fotos zu bekommen, aber ein Buch über Filme ohne Bilder kann man sich nicht wirklich gut vorstellen. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die Verleihfirmen kaum Interesse an dem Werbeeffekt zu haben scheinen, die ein solches Buch für sie ja auch darstellt. Die Unterstützung, zumindest in Form von Fotos, war gering. Umso toller von Homo Littera, am Ball zu bleiben! Ich habe noch keine Ahnung, wie das Buch gestaltet sein wird, aber die redaktionelle Arbeit daran wird sicherlich keine geringe sein. Dafür glaube ich, dass wir mit dem Projekt Neuland betreten. Ein Buch über schwule Filmszenen gibt es, soviel wir wissen, weltweit noch keines. Ich bin schon sehr gespannt darauf.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Verlagen? Wie produktiv war die Zusammenarbeit mit deinen Lektoren und Verlegern?
Wie du vielleicht schon herausgehört hast, sehe ich meine Zusammenarbeit mit Homo Littera und dabei speziell mit der Verlegerin Romy Leyendecker sehr positiv. Sie ist extrem bemüht um ihre „Schäfchen“ – obwohl meine Texte, wenn du sie im gesamten Verlagsprogramm ansiehst, auf den ersten Blick ja nicht unbedingt dorthin zu gehören scheinen. Aber wenn Romy sich für ein Buch entschieden hat, dann steht sie auch dazu. Außerdem schätze ich es sehr, dass es mit Homo Littera nun auch einen österreichischen Verlag gibt, der sich auf schwule Literatur spezialisiert hat. Da habe ich besonders auch was meine Damals ist vorbeiSprache betrifft eine verlegerische Heimat gefunden. Und nicht zuletzt schätze ich die extrem genaue Lektorierung, also die konkrete Arbeit am Text. Als Autor habe ich ja zuweilen das Gefühl gehabt, meinen Text dem Lektor zusagen auszuliefern. Gibt es da kein echtes Einverständnis, kann das sogar zu einer Art „Kampf“ ausarten, das habe ich alles schon früher erlebt. Bei Homo Littera ist das alles anders, sehr konstruktiv und dennoch entspannter. Bei „Der Stammbaum“ gab es mit der Lektorin noch die eine oder andere Unklarheit auszuräumen, doch bei „Hände“ hatte ich das Gefühl, dass sie meine Art zu schreiben voll und ganz verstanden hat und ihre total notwendige kritische und wertvolle Lektorierungsarbeit eben genau darauf aufbaut. Man ist als Autor ja oft sooo betriebsblind! Die Lektorin und auch der Testleser, der bei Homo Littera das Buch ganz kurz vor dem Druck nochmals kritisch durchstudiert, haben zum Beispiel Fehler bei der zeitlichen Abfolge der Geschichte gefunden, die mir gar nicht aufgefallen sind. In diesem Sinne glaube ich, dass auch das anspruchsvolle Projekt meines Filmbuches bei ihnen sehr gut aufgehoben ist.

 

Mit anderen Verlagen hatte ich ganz andere Erfahrungen. Ursprünglich hatte ich mir meine Art von Literatur bei Verlagen wie Diogenes sehr gut aufgehoben vorgestellt – nur waren die leider nicht ganz meiner Meinung. Ich will damit sagen, dass ich meine Kartons voller Absagebriefe sehr wohl kassiert habe. Aber nicht-schwule Verlage trauen sich ja im Moment gar nichts. Falls sie mal einen schwulen Roman herausbringen, dann ist das zu 95% eine Übersetzung, die im Mutterland schon erfolgreich war, und in der Werbung, selbst auf dem Klappentext, wird der schwule Aspekt der Geschichte meist total verschwiegen. Ach, wie wird da um den heißen Brei herumgeredet, wie wird das Wort „Freundschaft“ strapaziert, wo es eigentlich fehl am Platz ist. Schau dir an, auf welch beschämende Weise der Diogenes-Verlag selbst bei John Irvings „In einer Person“ herumgedruckst hat! Ich habe ein ganzes Regal voller schwuler Romane, denen du ihren schwulen Inhalt nicht ansehen würdest. Und keiner von ihnen ist von einem deutschsprachigen Autor. Nimm zum Beispiel „Barracuda“ (Klett-Cotta) von Christos Tsiolkas, die, laut Klappentext, „berührende Geschichte eines Außenseiters“; oder – das liegt gerade auf meinem Nachtkästchen – „Die Summe unseres Glücks“ von Francois Roux (Piper) – kein Wort von einem homosexuellen Inhalt, bloß die Freundschaft wird wieder strapaziert.

Was mir also blieb, war die Handvoll deutschsprachiger schwuler Verlage. Männerschwarm und Querverlag haben mich an der Nase herumgeführt, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Mich hat das damals echt getroffen, ich bin da extrem dünnhäutig und glaube wirklich gleich, meine Texte sind so übel, wie sie von denen gesehen wurden. Mittlerweile weiß ich von anderen Autoren, dass es ihnen genauso gegangen ist. Eine simple freundliche Absage schien hier mit dem Ego der Beteiligten nicht vereinbar zu sein. Und dann Bruno Gmünder! Dort ist ja „Damals ist vorbei“ in der ersten Fassung 2009 herausgekommen. Der Lektor, mit dem ich damals zusammenarbeitete, war ja sehr nett und konnte sich auch gut in den Text hineindenken. Doch dann verpasst der Verlag dem Buch ein Cover, das so ganz und gar nicht zum Inhalt und den Charakteren passte. Schlimm! Und obwohl sich das Buch gut verkaufte, hörte ich dann gar nichts mehr von ihnen. Der Verlag schlitterte dann auch in den Konkurs, neue Leute kamen ans Ruder – und als ein neuer Lektor sich eines Tages erdreistete, mir vorzuschlagen, doch einen Kurs für gutes Schreiben zu belegen, war mir klar, dass dieses Trauerspiel ein Ende haben müsste. Als die Auflage ausverkauft war, bekam ich auf meine Bitte rasch die Rechte an dem Text zurück, Achim Albers von Himmelstürmer stürzte sich darauf, und nach wenigen Wochen war eine Neufassung (ich habe den Schluss ein wenig verändert) mit endlich einem passenden Cover auf dem Markt.

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Die Au – Damals ist vorbei

Würdest du auch den Schritt zum Selfpublishing wagen oder bleibst du lieber bei der Zusammenarbeit mit Verlagen?
Der Hauptgrund, weshalb ich eher zu Verlagen tendiere, ist der Rückhalt, den mir eine gute Lektorierung gibt. Ich habe das oben schon erklärt, weshalb ich das für sehr wichtig empfinde. Vielen Texten, die im Selfpublishing herauskommen, merkt man leider an, dass sie nicht oder schlecht lektoriert wurden. Außerdem – ich bin ehrlich – krault es mein Ego, wenn ich weiß, dass sich ein Verlag für einen Text von mir entschieden hat und dafür nicht zuletzt ein finanzielles Risiko auf sich nimmt. Als ich nach den schlechten Erfahrungen mit den oben genannten Verlagen aber damals ziemlich down war und nicht mehr an die Möglichkeit geglaubt habe, in einem Verlag herauszukommen, habe ich schon an der Idee gebastelt, die Bücher selbst als Books on Demand herauszubringen. Ich wäre mein eigener Herr gewesen, was das Layout, die Schriftgröße, auch das Cover betrifft. Ich war kurz davor, das durchzuziehen, als sich Himmelstürmer für meine Bücher entschied und ich dabei auch ein gewisses Mitspracherecht bekam. Alles in allem ist alles sehr gut gelaufen und ich bin sehr glücklich darüber. Besonders „Hände“ schaut wirklich so aus, wie ich es mir vorgestellt habe.

Welches Genre bevorzugst Du?
Beim Lesen? Eher sehr realistische Gegenwartsgeschichten. Und dabei kommt es mir extrem auf die Sprache und auf die innere Logik der Charakterentwicklung an.

Nicht nur – auch beim Schreiben. Würdest du dich auch einmal an (für dich) ungewöhnliche Genres heranwagen, wie z.B. Krimi, Thriller oder Fantasy?
Das kann ich mir jetzt eigentlich nicht so recht vorstellen. Da müsste ich auch wohl sehr viel recherchieren, was ich nicht gern tue. Ich erzähle einfach Geschichten aus dem realen Leben, wie ich es kenne, that’s my cup of tea.

Was empfiehlst du Jungautoren?
Sich einerseits nicht entmutigen zu lassen von einem verlegerischen Umfeld, das unter Umständen nicht das geringste Interesse für sie aufzubringen vermag. Und zweitens: Sich immer genug Selbstkritik zu bewahren, nicht allzu hingerissen von etwas zu sein, nur weil man es selbst geschrieben hat. Ich möchte nicht brutal klingen, aber man sollte versuchen, nicht allzu schnell mit dem Geschriebenen zufrieden zu sein. An sich selbst zu wachsen, erfordert ein großes Maß an Selbstdisziplin und die Bereitschaft, immer weiter an sich zu arbeiten, also zu schreiben und zu schreiben und dabei als Ansporn auch immer die Literatur anderer im Hinterkopf zu haben, die zu lesen und zu verstehen man sich auch zuweilen anstrengen muss.

Wie wichtig ist das Thema Liebe?
Natürlich sehr wichtig, keine Frage. Könnten wir ohne Liebe leben? In allen meinen Büchern geht es letztlich nur um Beziehungen, um Liebe in ihren verschiedensten Spielarten. Meine Bücher sind Liebesgeschichten, auch wenn man ihnen das nicht immer auf den ersten Blick ansieht. Ich bin ja auch ein sehr romantischer Mensch, viel zu dünnhäutig, denke ich mir manchmal.

Liest du Gay Romance oder realistische Gay-Romane?
Jeder soll mit den Büchern oder Filmen glücklich werden, die ihr oder ihm gefallen. Ich selbst aber will überrascht werden. Gay Romance, soweit ich das in der Form von Leseproben festgestellt habe, spult immer nur das Standardrepertoire ab, in sprachlicher und auch inhaltlicher Hinsicht, und besonders auch, was die Entwicklung der Charaktere betrifft. Das funktioniert im Grunde genommen genauso wie Pornos. Die „Handlung“ ist nur Vorwand für das Standardprogramm. Das ist mir persönlich bei einem Roman zu langweilig. Romantik ja, aber dann im Umfeld eines Bruches mit Klischees. „Brokeback Mountain“ (übrigens besonders auch die tolle Kurzgeschichte von Annie Proulx) setzt die sehr romantische Liebesgeschichte in den Bruch des Klischees vom Macho-Cowboy; erst das macht sie so interessant. Aber „suum cuique“, wie der Lateiner sagt: Jedem das seine.

Welche Autoren schätzt du besonders? Welche Vorbilder hast du?
Ich habe Lieblinge von der Kinder- und Jugendliteratur bis hin zu Büchern für Erwachsene. Christine Nöstlinger, Josef Holub, Gabi Kreslehner, die frühen Romane von John Irving, fast alles von Patricia Highsmith, Ray Bradbury, Gabriel Gacia Marquez – den tollsten ersten Satz der Literatur findest du in „Hundert Jahre Einsamkeit“ –, Truman Capote, Ian McEwan, Hemingway und Bodo Kirchhoff, um zu sehen, wie klar Sprache sein kann. Die Liste ist auf jeden Fall unvollständig, ich lese wahnsinnig viel, aber wenn mich die erste Seite nicht überzeugt, packt und in den Text hineinzieht, bin ich schon beim nächsten Buch. Um dir zu zeigen, dass ich die Vielfalt liebe: Ich habe auch „Harry Potter“ verschlungen, die Bücher sind ja extrem gut geschrieben.

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Friedhof der Namenlosen – Damals ist vorbei

Was die schwule Schiene betrifft: David Leavitts „Die verlorene Sprache der Kräne“ hat mir vor vielen Jahren gezeigt, wo ich thematisch einmal hin will; Alain Claude Sulzer, da freue ich mich auf jedes neue Buch; Philippe Besson – „Eine italienische Liebe“ und „Sein Bruder“ sind wahnsinnig schön; André Acimans „Ruf mich bei deinem Namen“ – grandios; „Missouri“ von Christine Wunnicke ist eines meiner Lieblingsbücher. Und dann natürlich Jana Walther: „Benjamins Gärten“ ist für mich die vielleicht schönste schwule Liebesgeschichte der deutschsprachigen Literatur überhaupt – Jana erschafft mit ihrer ganz eigenen Sprache ihre ganz eigene Welt, die man von jener aus anderen Büchern blind unterscheiden könnte; ich schätze die Ruhe, die Gelassenheit ihrer Sätze. Jüngst habe ich, um nur ein Beispiel zu geben, “Das Ende von Eddy“ von Édouard Louis gelesen – sehr berührend und bei S. Fischer auch sehr schön in der Ausstattung.

Wie findest du den deutschen Markt im Gay Bereich? Wo siehst du ihn (und dich als Autor) in ein paar Jahren?
Seit der Veröffentlichung von „Damals ist vorbei“ 2009 hat sich der Markt sehr gewandelt: Stichwörter E-Books und Selfpublishing. Wir werden von neuen Büchern geradezu überschwemmt, viele davon werden zu Dumpingpreisen angeboten. Wenn du dir überlegst, wie viel Arbeit vom Autor über den Lektor und Verleger in der Herausgabe eines Buches stecken, wie viele Stunden um Stunden, die ohnehin niemand wirklich abgelten kann, dann ist es eigentlich eine totale Frechheit, wenn Leser heute ein E-Book um fünf Euro kaufen, es lesen und dann wieder zurückgeben und sich das Geld zurückholen. Das darf doch nicht wahr sein! Vielleicht setzt hier wieder mal ein Wandel ein, ich habe von einer Neugründung gelesen, der Albino-Verlag als Imprint von Gmünder, der literarisch anspruchsvolle und sehr schön ausgestattete Bücher herausgibt, die dann natürlich auch ein wenig mehr, aber keinesfalls zuviel, kosten. Mal sehen, ob die finanziell überleben können, ich wünsche es ihnen … Und ich selbst? Ich würde gern mit dem Schreiben meines neuen Romans in diesem Sommer beginnen. Ich habe eine Idee, ich habe drei Charaktere, ich habe sogar schon einen ersten Satz und einen Titel – „Ein Lächeln mit Zukunft“. Mal sehen, ob ich ins Schreiben hineinkomme, ob der Moment der richtige ist. Das kann ich im Vorhinein nie sagen.

Kannst du dazu schon mehr verraten – vielleicht sogar den ersten Satz, der ja für dich immer etwas Besonderes ist?
Naja, es wird einen Vater geben und seinen Sohn und eine ziemliche Konfliktsituation zwischen den beiden und dann auch eine Leiche, die aber keiner der beiden ist. Und dann ein Zusammenhalten. Gemäß deiner Frage oben würde ich das aber trotzdem nicht oder höchstens ansatzweise als Krimi bezeichnen. Und der erste Satz – natürlich nur, sofern sich das nicht noch ändert – lautet: „Als er aufwacht, regnet es noch immer.“ Ich finde, der setzt uns direkt in die Geschichte hinein.

Was würdest du deine Leser fragen?
Wo, wie und wann lest ihr meine Bücher? Ich würde mir das gern vor meinem inneren Auge ausmalen können – die Umstände, wenn jemand eine gewisse Zeitspanne ihres oder seines Lebens mit dem meiner Figuren verbringt. Das zu wissen, wäre für mich wahnsinnig interessant, vielleicht bin ich da ein bisschen der Voyeur, der etwa in Hitchcock-Filmen durch Fenster späht.

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Deine Worte an die Leser?
Danke, dass ihr einen Teil eurer Lebenszeit einem Text von mir widmet. Das ist wunderbar und für mich der Ansporn, mich immer wieder dem lustvollen, aber auch ziemlich anstrengenden Prozess des Schreibens zu stellen.

Vielen lieben Dank für das tolle, informative Interview.

Danke auch dir, Juliane, dass du dir Zeit für die Fragen genommen hast, und ganz allgemein für dein Engagement bei dieser Special Week.

[INTERVIEW] Ines Schmidt + Gewinnspiel

Ines Schmidt wurde in einem kleinen transilvanischen Städtchen geboren. Im Kleinkindalter konnte sie mir ihren Eltern nach Deutschland ausreisen. Ihre Kindheit und Jugend verbachte sie in Nürnberg. Nach ihrer Schulzeit machte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Behindertenwerkstatt. Mehrere Jahre arbeitete sie in den Sommerferien bei einer Freizeitgestaltung für Behinderte und ihre Familien mit. Zum Studium ging sie nach Würzburg. Danach zog es sie tiefer in den Süden. Sie lebte und arbeitete ein paar Jahre in München und begleitete, beziehungsweise leitete, Menschen mit Handicap bei deren Arbeit an. Um den Bergen noch näher zu sein, zog sie vor mehreren Jahren ins Voralpenland. Heute lebt und arbeitet sie südöstlich von München.

In ihrem Roman Granatapfelrot kartographiert Ines Schmidt das Innenleben zweier Männer und deren Zerrissenheit zwischen moralischer Hemmung und triebhaftem Verlangen. Ihr Debütroman handelt vom Übermut und von der leichtfertigen Entscheidungsfreude junger Menschen, einer Leichtigkeit, die sich mit den Jahren des Älterwerdens verliert und einer Identitätssuche weicht, geprägt durch Gefühlskonflikte, sexuellem Begehren und der Erfahrung des Todes.

Facebook – Fanpage zum Buch

Bitte erzähl uns ein wenig mehr von dir. Was machst du in deiner Freizeit?
Da sind so viele Dinge, die ich gern mache: Ich wohne nahe an den Bergen und bin sehr gern in der Natur. Wandern, Radfahren, im Garten faulenzen, in meinem Strandkorb sitzen und die Zaunfreiheit zu meinen Nachbarn genießen, im Kino laut lachen, bei Linkin Park, Depeche Mode und Placebo laut aufdrehen, keine dicken Wälzer lesen, mit meiner Katze kämpfen, im See baden, zum zigten Mal Gedichte von Erich Fried, Else Lasker-Schüler und Rilke lesen, Eis im Becher essen, am Meer spazieren gehen, Pilates-Übungen, Filme anschauen, die mich zum Heulen bringen, mit dem Wohnmobil nach
Skandinavien reisen und Polarlichter bestaunen (großer Wunsch!), Urlaub in Italien, Kroatien und an der Ostsee machen, nach Berlin fahren, lange Schlafen, ein Glas Rotwein trinken und ein gutes Gespräch führen, Konzerte besuchen, im Garten arbeiten, mit meiner Familie Ausflüge unternehmen, meine Blumen fotografieren, … und natürlich Schreiben.

Welchem Job gehst du hauptberuflich nach?
Ich habe Sonderpädagogik studiert und arbeite momentan in der Beratung von Eltern, Lehrern und Schülern.

Wann hast du mit dem Schreiben begonnen? Gab es einen Auslöser, der dich zum Schreiben brachte?
Begonnen zu Schreiben habe ich wie viele 12-jährige Mädchen mit Tagebucheinträgen und seit dieser Zeit schreibe ich auch gern Gedichte. Dann gab es etliche Jahre Stillstand.

Wie viel Zeit brauchst du, um ein Buch zu schreiben?
Ich habe ehrlich gesagt nie auf die Zeit geachtet. Es sind aber sicher viele Monate.

Was sind Deine aktuellen Projekte? Auf was können sich die Leser als Nächstes freuen?
Im kommenden März bin ich auf der Leipziger Buchmesse und bei „Leipzig liest!“ dabei. Wie das alles ablaufen wird, weiß ich selbst noch nicht. Aber ich freue mich darauf, auch diese Buchmesse erleben zu können.
Was das Schreiben betrifft, gibt es noch eine alte Liebesgeschichte, die ich bereits vor einigen Jahren geschrieben habe und die seither auf meinem Rechner ruht. Sie handelt von einem Brüderpaar und einer Frau, die zwischen deren Fronten gerät. Diese fordert meine momentane Aufmerksamkeit, da
mir viele Passagen nicht mehr gefallen und ich sie überarbeiten möchte.

Granatapfelrot” war dein erster schwuler Roman. Wie bist du auf die Idee dazu gekommen? Warum ein schwuler Liebesroman? Gibt es dafür einen besonderen Grund?
Zu dem Roman gibt es eine Vorgeschichte, man könnte es auch ein Warm-up nennen. In der Figur der Jakobine stecken zwei Menschen, die mir nahe stehen. Diese Vorgeschichte war eher ein experimenteller Versuch und behandelt in lakonischer Schreibweise die Beziehung zwischen Jakobine und einem Mann. Ich hatte mich durch ein Video inspirieren lassen, das in drei Teile aufgebaut war: Geburt, Leben, Tod. Ich mischte Momentaufnahmen aus dem Video mit eigenen Bildern und ließ Jakobine erzählen, von ihrem Leben bis hin zum Beginn ihres Vergessens. Am Ende blieben David, ihr Bruder, und der Mann, den ich schließlich Joshua nannte, zurück. Es vergingen etliche Wochen und die beiden Männer ließen mich nicht los. Sie forderten ihre eigene Geschichte.

Das Thema Demenz ist nicht so einfach – wie bist du darauf gekommen, gerade diese Thematik in “Granatapfelrot” einzuarbeiten?
Das ist ein großer, persönlicher Teil, wie ich schon erwähnt habe. Meine Oma war dement. In meiner Kindheit und Jugend war sie ein wichtiger Teil meines Lebens und es war der bisher sonderbarste Moment in meinem Leben, von ihr mit „Sie“ angesprochen zu werden. In dem Augenblick war die Krankheit so unverrückbar real und grausam. Es sind meist persönliche Erlebnisse, die in „Granatapfelrot“ geschildert werden. Nicht anders ist es mit der Osteogenesis Imperfecta, den Glasknochen von Jakobine. Zu dieser Form von Behinderung habe ich auch einen engen persönlichen Bezug. Was diese Teile der Geschichte betreffen, war ich somit direkt vor Ort. Beide Themen haben mich fortwährend beschäftigt und zum Schreiben verleitet.

Du hast auch Kurzgeschichten geschrieben – was liegt dir mehr: kürzere Geschichten oder Romane?
Einfacher empfinde ich ganz klar Kurzgeschichten. Ihre Geburt ist quasi schmerzfreier und schneller. Da ploppt eine Idee in meinem Kopf und zwei Stunden später ist eine kleine neue Welt entstanden.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Verlag? Wie produktiv war die Zusammenarbeit mit Lektor und Verleger?
Die Zusammenarbeit war völlig unkompliziert und ich liebe unkompliziert! Jannis, mein Lektor, ist mit mir auf Verbesserungsreise gegangen, während gleichwohl der „Löschzug“ ein paar Mal über das Manuskript fahren musste. Jannis hat zum ersten Mal ein Buch lektoriert und ich habe zum ersten Mal mit jemandem zusammen an meinem Manuskript gearbeitet. Per Mail-Kontakt ging das prima. Feedback ist mir wichtig und lässt mich gezielter arbeiten. Ich arbeite generell viel lieber im Team als alleine. Natürlich ist Schreiben ein Prozess, den man alleine tut. Umso wichtiger empfinde ich den Austausch.

Mit Sevastos, meinem Verleger, habe ich schließlich telefoniert. Leider ist es für mich nicht so einfach mal schnell nach Frankfurt zu fahren. Das waren für mich produktive Gespräche, da ich ja ein völliger Neuling in dieser Branche bin. Der Geschichte fehlte z.B. lange der passende Titel. Der Arbeitstitel war wenig originell und alle eingebrachten Vorschläge von Jannis und mir empfanden wir eher 08/15 mäßig. Dann hatte Sevastos die Idee mit „Grantapfelrot“ und ich dachte: Das ist es! Und der Leser findet die Auflösung des Titels beim Lesen – vielleicht mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Ich wurde über die Schritte, die Ideen, die für die Fertigstellung des Buches nötig waren, informiert, konnte zu allem „meinen Senf“ abgeben und meine Anmerkungen wurden immer gern berücksichtigt. Ich kann allen Beteiligten wirklich nur ein großes Lob aussprechen. Das Ergebnis ist ein optisch wundervolles Buch, welches man gern in die Hand nimmt.

Welche Figur ist deine Lieblingsfigur und warum?
David. Ich bin ein Einzelkind und habe meine Freunde immer um ihre Geschwister beneidet. Außerdem ist David ein toller Lehrer!

Können Fans in Zukunft auf weitere Werke hoffen?
Das hoffe ich natürlich selber! Versprechen kann ich nichts, aber hoffen ist immer gut. Hoffnung ist der Motor, der einen antreibt. Ich hatte viel Glück auf den Größenwahn Verlag zu stoßen und ohne Hoffnung, einen Verlag für mein Manuskript zu finden, hätte ich nie die Energie aufgebacht, mich auf den Weg zu machen. Mit dem Schreiben ist es nicht anders. Auf meinem Rechner sind mehrere Anfangsideen zu Geschichten gespeichert. Meist kurze Begegnungen zwischen zwei Perso
nen, die nun darauf warten näher miteinander in Kontakt zu kommen, um in ihrer eigenen, längeren Geschichte zu landen.

Welches Genre bevorzugst Du?
Beim Schreiben wie beim Lesen mag ich realistische Geschichten am liebsten. Ob Krimi, Liebesroman oder Kurzgeschichte. In der Lyrik hingegen liebe ich auch das Fantastische. Beim Schreiben steht bei mir am Anfang meist eine real erlebte Situation, die in meinem Kopf zu einem festen Bild wird, um das sich dann langsam eine Geschichte spinnt.

Was empfiehlst du Jungautoren? Den Gang zum Verlag, oder der Versuch
in Eigenregie?

Puh, da bin ich wirklich keine Expertin, da ich insgesamt wenig Erfahrung habe. Die Veröffentlichung meines Romans beim Größenwahn Verlag ist für mich sehr gut gelaufen, denn generell bin ich an die Sache ziemlich naiv herangegangen. Habe anfangs einfach verschiedene Verlage angeschrieben, in der
vagen Hoffnung auf ein positives Feedback. Über den Mailkontakt – trotz zahlreicher Absagen – haben mich fremde Menschen unterstützt und mir z.B. Tipps gegeben wie ich mein Exposé verbessern könnte oder mich weiterempfohlen. Das waren unverhoffte und schöne Erlebnisse, die mich motiviert haben, dran zu bleiben.

Ich hatte diesen Traum im Kopf, eines Tages mein Buch in Händen zu halten. Kaum jemanden in meinem Umfeld habe ich davon erzählt, da ich selbst meinte, etwas völlig Unmögliches zu wollen. Mir war es schlussendlich wichtig, das Gefühl zu haben, alles für mich Mögliche versucht zu haben. Hätte es mit dem Verlag nicht geklappt, hätte ich es vermutlich auf einem anderen Weg versucht. Vor einigen Jahren z.B. habe ich bei Books on Demand in Eigenregie einen kleinen Gedichtband veröffentlicht. Ich denke, es gibt hier kein Besser oder Schlechter. Ausschlaggebend ist das Wagnis sich auf den Weg zu machen und für alles offen zu sein, was einem dabei so passieren kann. Nach dem Motto: Dare to dream big!

Wie wichtig ist das Thema Liebe?
In „Grantapfelrot“ ist die Liebe das zentrale Thema. Davids Liebe zu seiner Schwester ist grenzenlos. Sie bestimmt jede seiner Handlungen und sein Denken gegenüber Joshua. Sie steuert sein Leben. Wen man jemanden aus ganzem Herzen liebt, ist man besonders verletzlich und angreifbar. David erfährt dies einmal mehr, als er sich seine Gefühle für Joshua eingesteht.

Liest du Gay Romance oder realistische Gay-Romane?
Um ehrlich zu sein, lese ich wenig schwule Literatur. Aber wenn, dann realistische Geschichten. Ich habe gerade mal eine Hand voll Romane im Regal stehen, darunter „Der Langstreckenläufer“ von Patricia Nell Warren. Mein erstes Buch, vor mehr als 15 Jahren war der Jugendroman „Die Mitte der Welt“ von Andreas Steinhöfel. Er hatte mich damals mit seiner Sprache und Erzählweise überzeugt. Ich schreibe lieber, als selbst darüber zu lesen.

Wie findest du den deutschen Markt im Gay Bereich? Wo siehst du ihn (und dich als Autor) in ein paar Jahren?
Ich verfolge den Markt nicht bewusst, aber während ich sämtliche Verlage anschrieb, hatte ich mich natürlich mit deren Verlagsprogrammen beschäftigt. Mittlerweile gibt es wohl alles was das Herz begehrt. Wo ich mich in ein paar Jahren sehe? Ich lasse mich überraschen und habe mich jetzt auch nicht ausschließlich dem Gay-Bereich verschrieben.

Was würdest du deine Leser fragen?
Speziell zu „Granatapfelrot“ würde ich fragen: Was hat dich dazu bewegt das Buch zu lesen? Welche Szene hat dir am besten gefallen und warum? Wie unterscheidet sich deiner Meinung nach „Granatapfelrot“ von anderen Büchern? Eine Frau schreibt über Männer – Wie gut ist es mir gelungen in die Rolle zweier unterschiedlicher Männer zu schlüpfen? Gibt es eine Stelle im Roman mit der du das am besten belegen würdest? Welches ist deine Lieblingsfigur – was bewirkt sie bei dir?

Deine Worte an die Leser?
Ich möchte mich für die zahlreichen, positiven Reaktionen bedanken! Es ist ein großes Erlebnis für mich, dieses Buch in Händen zu halten und andere mit auf die Reise zu David und Josh nehmen zu können. Es ist wahrlich ein Traum für mich in Erfüllung gegangen, der mit den Worten aus Benedict Wells Roman „Fast genial“ begann: „Das Wichtigste ist, dass du deine ganzen beschissenen Träume und Hoffnungen packst und sie nie mehr loslässt … Doch selbst, wenn du schon kaum mehr an dich glaubst, du darfst sie nicht loslassen.“ Der Satz hat mich wieder daran erinnert, dass ich bereits zu Schulzeiten diesen Traum vom eigenen Buch hegte und ihn mit den Jahren beinahe vergessen hatte. Der Satz war somit der Tritt in den Hintern, den ich gebraucht habe, um mich etwas zu wagen, das mir völlig utopisch erschien.
Im Oktober hatte ich auf der Frankfurter Buchmesse schließlich ein nettes und für mich besonderes Erlebnis. Nach der Buchvorstellung kam eine Zuhörerin auf mich zu und meinte, sie müsse mein Buch unbedingt lesen. Sie hätte sich durch mein Interview besonders angesprochen gefühlt – … es gäbe da gewisse Parallelen zu ihrem Leben … Es waren wenige Worte, die wir teilten. Aber sie war da, die Verbindung – wegen meines Buches! Danke dafür!

Vielen lieben Dank für das tolle, informative Interview.
Auf Facebook gibt es auf der Seite „Granatapfelrot“ die neuesten Infos zum Buch und ums Buch herum.

Gewinnspiel:

Jetzt habt ihr die Chance das wundervolle Buch “Granatapfelrot” von Ines Schmidt zu gewinnen. Dazu müsst ihr euch einfach nur mit einem Kommentar unter diesem Beitrag melden – gerne könnt ihr die Fragen der Autorin beantworten, insofern ihr “Granatapfelrot” kennt, ansonten könnt ihr ja auch schreiben, was ihr euch von diesem Buch versprecht.

Einsendeschluss ist der 27.12.2015, die Gewinner werden noch in diesem Jahr bekanntgegeben.

Like a Dream bedankt sich beim Größenwahn Verlag für die Bereitstellung des Romans.

 

[CHARAKTERINTERVIEW] Claude und Frederic aus der “Claude Bocquillon”-Reihe

Dieses Interview ist für nach der Lektüre der Krimis um Claude Bocquillon und seinen Freunden entstanden – daher kann es Spoiler auf den Inhalt der Romane 1-3 enthalten. Leser, die die Krimis noch nicht gelesen haben, sollten das nicht nur nachholen (es lohnt sich!), sondern das geführte Interview mt Vorsicht genießen – es werden viele Punkte aus den Romanen angesprochen, insbesondere aus dem dritten Band “Tod in Montmartre”

Anduze Plan de Brie

Anduze: Plan de Brie

Es ist ein sonniger Nachmittag, als Juliane Lucas Brasserie ansteuert. Fünf Meter weiter wälzt sich der Verkehr vorbei, doch die Kirche mit seinem Säuleneingang und der Platz Plan de Brie ruhen in sich und verleihen der Szene eine gewisse Behaglichkeit. Bäume spenden Schatten, der Brunnen plätschert und Gendarm Bertin wirft hin und wieder mal Blicke zur Brasserie hinüber. Juliane nimmt Platz und genießt die spätsommerliche Atmosphäre. Noch sind ihre Interviewpartner nicht anwesend, doch sie hofft, dass sich das bald ändert. Sie schaut zu Bertin und betrachtet ihn neugierig.

Kaum fünf Minuten später tauchen Claude und Frederic auf und nehmen Platz. Claude bestellt einen Weißwein, Frederic ein Bier. Juliane freut sich sichtlich, die Beiden zu sehen. Sie bestellt sich ebenfalls Weißwein und lächelt die beiden offen an.

“Guten Tag – ich freue mich sehr, dass ihr ein wenig Zeit erübrigen konntet, um euch meinen Fragen zu stellen. Ist die persönliche Anrede in Ordnung für euch?”

Claude lächelt und zuckt die Schultern .”Ich sehe keinen Grund, uns nicht zu duzen.”
Frederic nickt mit einem zustimmenden Brummen und schaut auf die Uhr. Offenbar hat er noch ein Date mit Amelie, ach nein, hier in Frankreich heißt es ja Rendez-vous.

“Sehr schön, sollte ich zu lange brauchen, unterbrecht mich einfach, in Ordnung? Ich denke, am einfachsten ist es, wenn ihr euch zumindest kurz vorstellt. Nicht jeder ist mit euren Abenteuern – kann ich das so nennen? – vertraut.”

“Ich bin Claude Bocquillon und arbeite gern als Privatdetektiv. Nebenbei jobbe ich als Kellner in genau dieser Brasserie. Dass ich schwul bin, ist inzwischen in Anduze bekannt, das ließ sich leider seit meinem ersten großen Fall nicht vermeiden.”
“Erster großer Fall, klar. Du hast vergessen, dass du mir, dem Inspektor der Kriminalpolizei von Nimes, dauernd dazwischengefunkt hast. Naja, vergeben und vergessen. Ich bin Frederic Lambert, ich kenne Claude von der Polizeischule, die ich ihm allerdings vermiest habe.”
Claude winkt ab. “Auch vergeben und vergessen.”
“Nun unterbrich mich nicht. Ich bin inzwischen Kommissar und habe mich mit Claudes guter Freundin Amelie verlobt.”
“Auch wenn die lieber mich haben wollte”, feixt Claude.
“Nicht vergeben und vergessen”, mault Frederic.

Juliane beobachten amüsiert den Schlagabtausch und lehnt sich zufrieden zurück. Sie ist sich sicher, dass das ein interessantes Interview werden wird. “Oha, man merkt, dass eure Freundschaft explosiv ist und weit zurückreicht. Wo habt ihr euch denn zum ersten Mal richtig kennengelernt und wie war euer erster Eindruck voneinander?”

“Naja, richtig von der schlechten Seite habe ich Frederic wie gesagt auf der Polizeischule kennengelernt. Er hat mich gemobbt, wo er nur konnte. Doch als wir unseren Mordfall Pascal Melot, meinen Ex, gelöst hatten, habe ich erkannt, warum Frederic so war. Ich trage ihm nichts mehr nach“, sagt Claude.
“Hm, ich war damals einfach sauer auf den immer fröhlichen und frechen Claude. Ihm fiel alles so leicht auf der Polizeischule, doch ich habe mich so angestrengt, ich hatte einen echten Grund, Polizist zu werden und konnte nicht einsehen, warum der leichtsinnige Claude auch so ein Polizist werden wollte wie ich. Aber dann musste ich mit ihm zusammen den Fall klären. Ich tat mich schwer mit seiner Homosexualität, aber letztendlich habe ich erkannt, was hinter diesem verrückten Kerl steckt: ein frecher, liebenswerter und aufrichtiger Mensch.”
Claude verdreht die Augen, errötet aber stolz.

Juliane grinst und nippt an ihrem Wein. “Also wäre er ein guter Polizist geworden, wenn er die Schule beendet hätte? Oder wäre ihm seine, nennen wir es einfach mal, ungewöhnlichen, halblegalen Ermittlungsmethoden früher oder später zum Verhängnis geworden, Frederic?”

Frederic nickt. “Ich glaube, er wäre ein sehr ungewöhnlicher Polizist geworden. Immer mit einem Bein im Knast. So ist er nun mal.”
“Ich bin wirklich lieber ungebunden und kann mein eigenes Ding durchziehen.”

Anduze: Pagodenbrunnen

“Klar, dann passt Privatdetektiv besser. Hast du nach deinem Austritt aus der Polizeischule direkt gewusst, was du machen möchtest, oder brauchtest du ein wenig Zeit, um dich zu entscheiden?” Juliane sieht neugierig zu Claude.

Claude dreht sein Weinglas. “Ich habe in den Tag hinein gelebt, was mir nicht immer so gefiel. Dieser Kellnerjob bietet mir Normalität und auch ein paar Freundschaften, während meine Fälle für Abwechslung und Aufregung sorgen. Doch ich will mein Büro ausweiten und überlege noch, wie mir das am Besten gelingt. Aber ich setze mich nicht unter Druck.”

Unweigerlich huscht Julianes Blick zu Frederic. “Nach eurem letzten großen Fall in Paris, wo ihr ja eher Claudes Wege beschritten habt, kann ich mir die Frage nicht verkneifen, ob ihr nicht gemeinsam ein gutes Team abgeben könntet? So als Privatdetektiv-Duo.”

Frederic schaut entsetzt auf: “Ich und dieser Chaot? Nie und nimmer.”
Claude lacht. “Ich und dieser Sesselpupser? Auf keinen Fall.” Dann denkt er eine Weile nach. “Obwohl … keine schlechte Idee. Du ziehst doch sowieso nach Anduze, wenn du Amelie heiratest.”
“Du spinnst wohl. Kommt nicht in Frage.”
Claude zwinkert Juliane zu und flüstert: “Wir sprechen uns später mal wieder.”

Juliane fixiert ihren Wein und denkt sich ihren Teil. “Du ziehst also wirklich nach Anduze, Frederic? Wirst du dann auch hier arbeiten? Und was natürlich die meisten interessiert: Gibt es schon einen Termin für die Hochzeit?”

Frederic seufzt. “Ja, ich muss in dieses Kuhkaff ziehen.”
Claude boxt ihm auf den Arm und sagt: “Komm, hör doch auf. Anduze gefällt dir doch längst. Allein der Blick über die Stadt von der Brücke aus …”

Anduze: Stadtansicht

“Ja gut”, gibt Frederic zu. “Ich werde nicht hier arbeiten, sondern jeden Tag nach Nimes fahren. 45 Kilometer, puh. Was tut man nicht alles für die Frau seines Lebens. Übrigens werden wir im bald heiraten, dauert nicht mehr lange.”

“Oh, das klingt aufregend. Dann wünsche ich euch schon jetzt alles Gute und traumhafte Flitterwochen. Ich finde ihr passt gut zusammen und hey, ich fahre auch jeden Tag 50 km zur Arbeit. Das nimmt man in Kauf.” Sie zwinkert ihm zu und murmelt: “Wer weiß, vielleicht übernimmst du irgendwann ja Bertins Platz.”

Frederic schüttelt den Kopf. “Bertin ist Gendarm, ich bin bei der Police judicaire, der Kripo.”

“Okay, da merkt man meine Unwissenheit – ich bin im Polizeiwesen nicht so bewandert. Entschuldige.” Um das einschlafende Gespräch wieder anzukurbeln, wendet sich Juliane Claude zu. “Aber mal zu dir Claude. Ist denn Julien inzwischen wirklich umgezogen, oder lässt er noch auf sich warten?”

Claude bekommt einen verträumten Blick. “Das kommt alles noch. Ich setze ihm nicht die Pistole auf die Brust. Wir überlegen noch, ob wir eine neue Wohnung zusammen nehmen oder ob Julien sich eine eigene Bude nimmt. Was eigentlich Quatsch wäre. Meine ist groß genug. Und Virenque, mein Katerfreund, würde sich auch freuen.”

“Na, dann drücke ich doch beide Daumen, dass du ihn noch überzeugen kannst. Zumal ihr euch ja dann auch mit den Kosten reinteilen könnt. Ich finde es schön, dass ihr euch wieder zusammengerauft habt.”

“Ja, der Streit hat uns beide sehr mitgenommen, uns aber auch Klarheit verschafft.”

“Das ist das Wichtigste. Und manchmal kann ein Streit wirklich die Luft klären. Aktuell scheint es bei euch wirklich gut zu laufen – eine Hochzeit steht ins Haus und ein geplanter Zusammenzug. Was ist denn sonst noch geplant? Gibt es zur Zeit neue Fälle oder Neuigkeiten, die ihr mit mir teilen wollt?”

Frederic sieht zu Claude hin und sagt leichthin: “Nun ja, dass Bertin sich mit Claudes Mutter eingelassen hat, ist ja hinreichend bekannt.”
“Ja”, brummt Claude missmutig. “Hinreichend. Wehe, der Kerl tut ihr weh.”

Anduze Claudes Hausfassade am Place Notre Dame

Anduze: Claudes Hausfassade am Place Notre Dame

“Ja, das ist inzwischen wirklich bekannt. Ich finde es sehr schön, dass die beiden zueinander gefunden haben. Und ich glaube nicht, dass Bertin ihr weh tun würde.”

“Solange ich nicht Papa zu ihm sagen muss”, murmelt Claude.

“Das bezweifle ich doch stark, oder steht da demnächst eine zweite Hochzeit ins Haus?”

“Nein, das glaube ich nicht. Dazu ist meine Mutter zu schlau”, sagt Claude. Man sieht ihm an, dass er das Thema lieber wechseln möchte.

Juliane überlegt eine Weile und trinkt ihren Wein aus. Sie lässt den Blick über den Platz schweifen und sieht dann zu den beiden: “Ihr wisst inzwischen ja, dass es euer Leben in Buchform gibt und ich frage immer mit Freuden, was ihr von eurem Chronisten – Brunhilde Witthaut alias Laurent Bach haltet. Hat er euch so präsentiert wie ihr seid oder gibt es da einige Beschwerden? Das ist eure Chance.” Sie zwinkert ihnen zu.

“Unser Chronist denkt sich immer die unmöglichsten Dinge aus und reitet uns oft richtig in die Scheiße. Das könnte er mal lassen”, beschwert sich Claude. “Ich in den Katakomben von Paris, das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich hatte echt Schiss da unten.”
“Und mir solche Sorgen zu bereiten, dass ich Amelie nicht beschützen kann, nein Danke”, sagt Frederic schnaubend.

“Das klingt als seid ihr echt sauer. Also hättet ihr lieber ein ruhiges, beschauliches Leben ohne Sorgen, anstatt die verrücktesten Fälle zu lösen? Wäre das nicht echt langweilig?”

“Nein, sauer sind wir nicht. Aber die Fälle bringen mir nicht genug Geld ein. Könnte er sich nicht mal eine nette Wirtschaftsspionage ausdenken oder einen satten Erbschaftsstreitfall? Das bringt Geld in die Kasse”, schlägt Claude vor.
Frederic schüttelt den Kopf. “Hättest du mal lieber was Ordentliches gelernt.”

Anduze: Gardon

“Na, man muss aber bedenken, dass Laurent Bach dir bei deinem vorletzten großen Fall ein großes Erbe zugeschrieben hat. Das hättest du ja auch ein wenig besser anlegen können, als alles in kurzer Zeit auszugeben.”

“Vergiss nicht, dass an diesem Geld Blut klebte. Es war mir ein Bedürfnis, es an eine schwule Organisation zu spenden. Gut, ein bisschen habe ich noch auf der Kante, doch das ist nur meine Altersvorsorge.”
“Hahaha”, Frederic schlägt sich auf die Schenkel.

“Was ist so lustig?” Juliane schaut verwirrt zwischen den beiden hin und her.

“Altersvorsorge, dass ich nicht lache!” Frederic schlägt Claude auf die Schulter. “Mann, du bist 30 oder so. Und jetzt klingst du wie ein Versicherungsvertreter.”
“Na und? Das Geld ist eben für Notfälle.”
“Du erbst doch noch den Hof deiner Mutter.”
“Daran denke ich lieber nicht”, sagt Claude düster. “Das hat noch lange Zeit.”

Anduze: Brunnen

“So verkehrt ist es nicht, in die Zukunft zu denken. Machst du das nicht, Frederic? Planen und so weiter? Welche Ziele hast du denn noch im Leben? Stehen vielleicht irgendwann auch einmal Kinder ins Haus?” Juliane stellt sich gerade Frederic als Vater vor, bringt es aber nicht über sich, das Bild für die anderen zu malen.

Frederics Blick wird weich. “Na, wenn ich schon heirate, dann müssen auch Kinder her. Ein Junge und ein Mädchen, so hübsch wie Amelie.”
“Du klingst ja richtig altbacken”, wundert sich Claude, dann seufzt er. “Ich werde natürlich nie Kinder haben.”
“Ach, ich leih dir dann unsere, du Patenonkel. Die kannst du nach dem Spielen wenigstens wieder abgeben.”
“Danke, sehr großzügig”, sagt Claude, sieht aber nicht sehr verärgert aus. Er lächelt. “Tja, es ist halt, wie es ist.”

Juliane sieht verwundert zu Claude. “Du hättest gern Kinder? Um ehrlich zu sein, habe ich dich gar nicht so eingeschätzt. Das ist nicht abwertend gemeint, okay? Aber Frederic hat recht – du darfst die Kinder immer mal wieder bespaßen und glaub mir, es ist bestimmt ganz erholsam, sie nach 3 Stunden wieder abzugeben. Ich glaube Virenque wird das auch zu schätzen wissen.”

“Mein Kater ist ja irgendwie mein Ersatzkind, das hatte ich ganz vergessen”, schmunzelt Claude. “Er hat ja auch schon einiges leiden müssen unter meinem ersten Fall. Abgesengtes Fell und so, brrr.” Er schüttelt sich.

“Ja, der arme Kerl. Aber er hat sich ja gut erholt.” Juliane muss an ihre zwei Katzen denken. “Habt ihr von eurem Chronisten eigentlich schon erfahren, was er für euch als nächstes in petto hat? Werdet ihr eigentlich vorgewarnt, oder lässt er euch komplett auflaufen?”

“Er lässt uns auflaufen. Und seine Leser auch.” Claude seufzt. “Man ist nie sicher vor ihm. Aber ich habe läuten hören, dass unser Chronist sehr überlastet ist, sodass der nächste Fall noch eine ganze Weile auf sich warten lassen wird. Schon Pech, wenn man so viele Projekte annimmt.”

“Oh, da wisst ihr scheinbar mehr als die Leser. Schade, und ich dachte, er lässt uns an der Hochzeit von Frederic und Amelie teilhaben.” Juliane wirft einen Blick auf die Uhr. “Du bist hoffentlich nicht zu spät zu deinem Date, Frederic, oder? Wobei ich nichts dagegen hätte, auch mal Amelie auf den Zahn zu fühlen. Oder
Julien. Der treibt sich nicht zufällig hier in der Nähe herum?”

“Nein, der ist noch arm Arbeiten in der neuen Bank.”

“Ja, aber irgendwie hält sich Claude hinsichtlich Julien noch ein wenig bedeckt. Mich interessiert nämlich noch, ob sich der Gute inzwischen mit deiner Arbeit abgefunden hat? Immerhin macht er sich ja (zu recht) Sorgen um dich. Du stürzt dich ja öfters mitten in die Gefahr.”

“Das nervt ihn natürlich gewaltig. Er schimpft immer mit mir, ich solle es der Polizei überlassen und so. Er liebt mich eben, ich verstehe seine Sorge ja auch. Aber dann geht es mit mir durch und ich kann die Finger nicht von einem Fall lassen. Besonders, wenn der Fall mich persönlich betrifft, was ja bisher bei jedem Fall der Fall war.”
“Hehe, gutes Wortspiel.” Frederic grinst.

“Ja, du hast irgendwie ein Händchen dafür, dich in Schwierigkeiten zu bringen, wobei der 2. Fall ja dein persönlichster war. Hast du eigentlich jemals mit deiner Mutter über deinen richtigen Vater gesprochen?”

“Ja, sie hat mir einiges über ihn erzählt. Wir haben Fotos betrachtet und ein paar Zeitungsartikel über ihn. Im Grunde bin ich mit ihm im Reinen. Er war nett und intelligent, aber jetzt, wo ich Bescheid weiß, berührt es mich nicht mehr so sehr.” Claude sieht Juliane offen an. “Ich habe eben reichlich Auswahl an Vätern.” Er grinst.

“Wer kann das schon von sich behaupten? Du hast quasi die freie Auswahl. Um allmählich zu einem Ende zu finden, meine letzte Frage: “Was würdet ihr gerne euren Lesern, eurem Chronisten und euch selbst schon immer einmal sagen?”

Claude: “Also ich finde, dass ich meinem Chronisten gut gelungen bin. Danke Laurent, du hast mich wirklich gut getroffen.”
Laurent Bachs Stimme aus dem Off: “Danke Claude, du bist mir die liebste Figur all meiner Bücher.”
“Jetzt bin ich dran”, sagt Frederic. “Tja, Laurent, ich war ja erst der Buhmann, aber dann habe ich doch noch einen festen Platz in deinen

Anduze Dampflok aus Teil 1

Anduze: Dampflok aus Teil 1

Büchern gefunden. Danke dafür.”
Claude: “Und vielen Dank an alle Leser, die uns mögen. Wir sind auf euch und euer Interesse angewiesen. Und nicht zuletzt Danke an dich Juliane. Wo wäre ich, wenn du uns nicht entdeckt hättest? Echt am Arsch. Du bist die Beste!”

Juliane errötet und weiß zum ersten Mal keine Antwort darauf. Schließlich murmelt sie: “Also ich habe euch nicht entdeckt, sondern der Verlag – aber ich liebe eure Abenteuer und habe echt einen Narren an euren Büchern gefressen. Und ich teile Laurents Meinung – du bist auch einer meiner Lieblingscharaktere, Claude!”

“Also, jetzt ist ein Küsschen fällig.” Claude steht auf und gibt Juliane links und rechts einen Kuss auf die Wange, wie es Franzosen halt so tun.

“Danke für das tolle Interview. Und ich hab nichts dagegen, jetzt ein paar der Sehenswürdigkeiten, der Tatorte und natürlich Virenque kennenzulernen.” Juliane steht auf und winkt den Kellner zu sich um zu bezahlen. “Also wie sieht‘s aus, Claude? Hast du noch ein wenig Zeit?”

“Ja, ich führe dich ein wenig herum und zeige dir die Markthalle, den Pagodenbrunnen, die engen Gassen und Virenques Lieblingsbalkon. Kommst du mit, Frederic?”
“Ja klar, auf dem Weg hole ich Amelie von der Arbeit ab. Danke für das interessante Interview.”

“Ich bin dabei und freue mich schon Amelie kennenzulernen…”

Jetzt habt ihr die Möglichkeit Claude und Frederic ebenfalls Fragen zu stellen! Schickt sie einfach an Koriko@gmx.de – ich leite sie entsprechend weiter. Alle, die sich bereits jetzt daran beteiligen, nehmen automatisch am Gewinnspiel teil, das am Samstag startet und bei dem es signierte Bücher von Brunhilde Witthaut alias Corinna/Laurent Bach zu gewinnen gibt.

[INTERVIEW] Florian Tietgen

Wir nähern uns dem Ende der Special Week und wie gewohnt habe ich kurz vor der Verlosung und dem Leserinterview mein eigenes Interview mit Florian Tietgen im Gepäck. Euch erwarten tolle Einblicke in sein Leben, seine Werke und was er mit seinen Büchern verbindet. Wer mehr über ihn und seine Bücher erfahren will (immerhin wurden nur einige wenige hier vorgestellt), der sollte sich auf seiner Homepage umsehen:

http://www.floriantietgen.de

Bitte erzähl uns ein wenig mehr von dir. Was machst du in deiner Freizeit?
Schreiben ist doch Freizeit. Zum sportlichen Ausgleich trainiere ich kleine Fußballer, was jeden Nachmittag in Anspruch nimmt.

Was machst du beruflich? Inwieweit fließen Beruf und die Arbeit mit den Fußball-Kids in deine literarische Arbeit ein?
Im Moment habe ich leider aus gesundheitlichen Gründen keine regelmäßige Arbeit. Ab und zu bearbeite ich die Romane von Kollegen. Die Arbeit mit den Fußballkindern sehe ich eher als Ausgleich zum Schreiben, noch ist nichts davon in die Bücher geflossen. »Auf einen Schlag« habe ich geschrieben, bevor ich überhaupt daran dachte, mal selbst Kinder zu trainieren. Die Schauspielausbildung und die pädagogische Ausbildung fließen allerdings mit ein. Deshalb schreibe ich so gern in der ersten Person, weil ich mich dann wie ein Schauspieler in den Protagonisten fühlen und denken kann und die Welt mit dessen Augen sehen. Die pädagogische Ausbildung bewirkt, dass ich so oft aus jugendlicher Perspektive schreibe, obwohl ich schon ein alter Knacker bin.

Wann hast du mit dem Schreiben begonnen? Gab es einen Auslöser, der dich zum Schreiben brachte?
Ich kann mich an keinen Auslöser erinnern. Es gab schon immer Zeiten, in denen ich viel geschrieben habe und welche, in denen ich es gar nicht getan habe. Das begann in der Grundschule und ist bis heute so. Als Kind habe ich mich dabei häufig an den Büchern orientiert, die ich gerade gelesen habe, Enid Blyton in der Grundschule, Simmel oder Böll in der Pubertät. Die Kombination ist ungewöhnlich, aber als Dreizehnjähriger unterscheidet man die Literatur nicht nach gängigen Kriterien, da zählt nur, was einem gefällt. Ab dreizehn habe ich dann Liedtexte geschrieben, so absurd es klingt, zunächst inspiriert von Gunther Gabriels „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“. Ich habe aber erst als Fünfzehnjähriger Gitarre gelernt, um sie zu vertonen. Und konsequent geschrieben und daran gearbeitet, habe ich ab 2003. Zwei Jahre zuvor hatte ich zwar schon die erste Fassung zu „Ein tiefer See“ geschrieben, aber erst 2003 habe ich Kurzgeschichten.de entdeckt, mich da registriert und es genossen, auf einmal so viel weiterbringendes Feedback zu bekommen, an dem ich mich schreibend entwickeln konnte. Und oft habe ich da gedacht, das hätte ich gern als Jugendlicher schon gehabt.

Hast du schon damals beschlossen, homoerotische Literatur zu verfassen oder gingen deine Anfangstexte in eine andere Richtung?
Das habe ich nie beschlossen. Ich empfinde sie auch gar nicht als homoerotische Literatur. Meine Hauptfiguren sind halt oft schwul. In einem meiner Liedtexte kam es mal vor und in den Geschichten ist es einfach entstanden. Ich mache mir beim Schreiben nie Gedanken über ein Genre oder eine mögliche Zielgruppe. Dass meine Figuren oft schwul sind, hat viel mehr mit meiner eigenen Sehnsucht nach tiefen Freundschaften zu tun.

Wie viel Zeit brauchst du, um ein Buch zu schreiben? Gibt es irgendwelche festen Prozeduren, wenn du schreibst, oder ist das bei jedem Buch anders?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich schreibe eher langsam, aber es gibt Stoffe, die sich wie von selbst schreiben. Und meist lasse ich die Bücher dann auch noch lange liegen, bevor ich sie noch mal überarbeite, ganz viel wieder streiche, an der Satzmelodie feile. Am liebsten ist es mir, wenn ich morgens um acht beginne und bis mittags schreibe. Dann komme ich auch am besten voran. Aber das lässt die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen nicht zu.

Was sind Deine aktuellen Projekte? Auf was können sich die Leser als Nächstes freuen?
Zurzeit arbeite ich an einer Geschichte um einen fiktiven Hit zur Zeit der Neuen Deutschen Welle und den Mann, der den als damals Sechzehnjähriger gesungen hat. Toll wäre es, eine Band zu finden, dir diesen fiktiven Hit im Vorfeld einspielt und ein Video davon auf den entsprechenden Plattformen veröffentlicht. Gerade E-Books bieten da ja tolle Möglichkeiten, solche Videos verlinkt auch in die Geschichte zu integrieren. Diesen Zusammenklang unterschiedlichster Kreativität finde ich spannend.

Deine Bücher entsprechen nicht ganz den gängigen Gay Romanen, sind sie doch frei von Klischees und Stereotypen. Was hat dich bewogen, in deinen Romanen andere Themen aufzugreifen, als die genretypischen Motive?
Es klingt immer arrogant, wenn ich antworte, ich schreibe ja nicht leserorientiert, aber das meine ichnicht als Sockel, sondern als Fundament. Ich kann eine Geschichte nur schreibend verfolgen, wenn ich sie spannend finde, wenn mich die Figuren reizen und ich auch Lust habe, ihnen so nahe zu kommen, wie es das Schreiben erfordert. Schließlich verbringe ich viel Zeit mit ihnen. An Menschen reizt mich die Brüchigkeit, die Liebe, die Schuld, das, was beides mit ihnen macht und wie sie sich dem stellen oder sich davon erlösen lassen. Mich reizt ihre Tiefe und ich hadere oft damit, dass andere diese Tiefe viel eindringlicher erfassen und erzählen können, verbeuge mich aber gleichzeitig ehrfurchtsvoll davor. Am „Haus der Jugend“ reizte mich die Konstellation von Veränderung und Konstanz. Und in der Konstellation von Homosexualität und Gesellschaft finden wir beides. Es hat sich unglaublich viel zum Positiven verändert, aber die Vorurteile sind konstant geblieben, auch, wenn sie sich auf weniger Menschen verteilen. Und beides Veränderung und Konstanz erleben Menschen passiv und gestalten es dennoch.
Und dann kommt erst die Frage, wie ich das erzähle, um für die LeserInnen vor allem eine interessante Welt zu gestalten, in der sie sich während des Lesens aufhalten möchten, vielleicht einmal innehalten, sich aber vor allem wohlfühlen und dennoch Spannung erleben. Verzeih die lange Antwort, aber ich bin der Überzeugung, LeserInnen und Geschichten gewinnen einfach mehr, wenn die Autoren ihre Themen aufgreifen. Und da komme ich auf das „bewogen“ zurück. Ich kann nur schreiben, was mich bewegt.

Auch enden deine Romane teilweise offen, oder bieten Platz für Spekulationen. Ist dies Absicht und hast du schon einmal interessante Diskussionen über deine Bücher geführt?
Absicht ist es in sofern, dass das Leben, an dem ich als Autor und auch die Leser ein paar Seiten und Stunden lang teilhaben durften, ja weiter geht. Ich mag diese Form des Loslassens. Ihr (die Protagonisten) seid jetzt auf einem guten Weg, es gibt mal mehr, mal weniger Hoffnung für euch, ihr habt die Aufgaben erledigt, seid mal gescheitert, habt mal bestanden, und jetzt lasse ich euch euren Weg selbst gehen, denke ab und zu an euch und treffe ich euch vielleicht in einem anderen Buch wieder. Und darüber habe ich in der Tat schon spannende Diskussionen geführt.
Die meisten Diskussionen führe ich allerdings weniger über offene Enden, sondern über Reizpunkte in Geschichten. In einer habe ich mal einen schwulen linken Autonomen nach einer Demonstration mit einem Stein auf einen Neonazi gehetzt. Die Situation eskalierte, weil der junge Mann immer wütender darüber wurde, wie erotisch und anziehend er den Nazi fand. Über diese Geschichte habe ich richtig viel diskutiert.

Mit welchem deiner Romane hast du dich zum ersten Mal einem schwulen Protagonisten gewidmet?
Das war kein Roman, das war die Erzählung »Ein tiefer See«. Die ist 2001 entstanden, nachdem ich auf einem Internetportal namens »Nicstories« einige Geschichten von einem Autor namens Thomas gelesen hatte. Ich habe den tiefen See dort auch eingereicht, eine sehr nette Antwort von Nic erhalten, er hätte die Geschichte zur Beurteilung an genau diesen Thomas weitergereicht und sie hätten beschlossen, sie nicht auf die Seite zu nehmen. Auch der Thomas schrieb mich noch an. Der Grund lag nicht in der Qualität der Geschichte, sondern in deren Verantwortungsgefühl. Sie hatten Angst, ein missbrauchter Junge könnte sich seines Missbrauchs erst durch diese Geschichte gewahr werden und dann wie Ole aus dieser Geschichte reagieren.

Wie viel fließt aus deiner Erinnerung, deinem Umfeld und deinen Erfahrungen in deinen Büchern?
Das ist unterschiedlich, aber ich glaube fast, der unbewusste Anteil davon ist noch größer als der Teil, den ich bewusst dafür nutze. Schauspieler machen es ja auch so, um authentisch in ihre Rolle zu schlüpfen. Dabei nutzen sie das Grundthema. Betrauern sie in ihrer Rolle den Vater, nutzen sie eigene Verlusterfahrung, eigenen Schmerz, um den Zuschauer die Trauer in der Geschichte spüren zu lassen. Ähnlich ist es ganz sicher nicht nur bei mir beim Schreiben. Dass meine Erfahrungen leider auch bitter sind, teile ich ja mit vielen. Meiner eigenen Kindheitserfahrung komme ich in der Figur Ole in »Ein tiefer See« und in Martin in »Kopfsprünge und der Rücken von Mark Spitz« am nächsten. Allerdings habe ich da sehr viel an direktem Geschehen verändert.

„Haus der Jugend“ hat durchaus philosophische Ansätze. War dies Absicht, oder kam das beim Schreiben?
Das kam eindeutig beim Schreiben. Wenn ich versuche, absichtlich philosophisch zu sein, wird es trocken und langweilig.

Mit wem der beiden Männer identifizierst du dich am meisten – Siegfried oder Darius?
Mit Siegfried, auch, wenn ich noch nicht so weit bin, wie er es ist. Aber diese grüblerische Melancholie, die durchaus auch mit Pragmatismus gepaart ist, kenne ich ganz gut. Siegfried ist aber glaube ich selbstbewusster als ich es bin.

Im Buch gibt es nur teilweise eine Erklärung für Darius‘ ewige Jugend. Hast du für die Leser weitere Informationen zu der fantastischen Komponente deines Buches?
Ich habe daran lange überlegt, auch, weil ich fürchtete, die Geschichte könnte in dieser Form der Auflösung als unstimmig empfunden werden. Ich bin dann aber zu der Entscheidung gekommen, dass mehr Informationen der Geschichte schadeten. Zum einem bestünde die Gefahr eines langweiligen Infodumps am Schluss, zum anderen mag ich diesen unklaren Grenzverlauf zwischen Realität und Fantasie. Bei Darius auch deshalb, weil der Jugendwahn ja durchaus zu den Klischees über schwules Leben gehört.

Auch in „… wenn es Zeit ist …“ baust du eine fantastische Komponente ein. Was reizt dich daran, diese in deine Bücher einzubauen?
Für mich gehört die Fantasie zum Leben. Sie bereichert uns und gibt uns vor allem die Kreativität, reale Probleme zu lösen. Fantasie und Wissen oder Realität lassen sich nicht trennen. Mich selbst reizt daran, dass ich mithilfe der fantastischen oder surrealen Elemente oft Realität viel pointierter treffen kann. Die besondere Gabe von Henrik passt nicht in eine wissenschaftliche Welt, junge Menschen mit weltlicheren Begabungen kämpfen aber oft mit den gleichen Ambivalenzen, mit denen sich Henrik auseinandersetzen muss. Nur lässt sich das in diesem fantasievollen Element für jeden nachvollziehbarer gestalten. Und ich bilde mir ein, für den Leser auf diese etwas versponnene Art auch reizvoller. Als Autor bin ich ja der Reiseführer durch die Welt der Geschichte.

Wie sehr kannst du dich mit Henrik identifizieren?
Das fällt mir leicht. Ich neige leider zu seinem Jähzorn, auch, wenn der sich nicht in körperlicher Gewalt äußert, sondern bei mir bleibt. Mein Urgroßvater besaß die Fähigkeit, mittels Besprechung zu heilen. Das hat er auch bei mir mal gemacht. Als Kind hatte ich entsetzlich viele Warzen auf der Stirn. Ein bisschen von dieser Fähigkeit hat er auf mich übertragen. Auch Henrik ist ein grüblerischer Zweifler, anders als ich scheint er aber etwas aus seinem Potenzial machen zu können.

Das bedeutet, dass die Geschichte durchaus auf realen Erlebnissen basiert, mehr noch: sie betrifft dich persönlich. Baust du in deine Romane immer wieder kleine reale Ereignisse ein oder persönliche Aspekte?
Ich drücke es mal anders aus. Ich nutze mein Leben als Fundus für erfundene Geschichten. Manchmal führe ich auch Dinge zusammen. Meine Mutter ist sogar in dem Haus groß geworden, das ich für diesem Roman Henriks Oma zugedacht habe. Den beschriebenen Garten gab es auch wirklich, allerdings haben wir nie darin gewohnt. Die Handlung, der Vater, der Schulverweis oder der verständnisvolle Schuldirektor sind frei erfunden. Die Ohrfeige wegen des Klassenwürgens bei der Vokabel Spinat habe ich aber wirklich kassiert und leider auch zurückgegeben.

Da das Buch relativ offen endet – planst du vielleicht einmal eine Fortsetzung?
Für dieses Buch hatte ich schon drei Enden geschrieben und zur Veröffentlichung dann das vierte. Im kitschigsten davon endete es mit einem Besuch Henriks bei Jan im Krankenhaus, ausgerechnet ein Pastor als dessen Bettnachbar, der die beiden ermuntert, ihre Liebe zu leben. Für mich war diese Geschichte an diesem Punkt zu Ende, weil sich ab da alles nur noch wiederholen könnte. Henrik hat begriffen und angenommen, dass er anders ist. Der Kampf darum ist abgeschlossen. Wenn sich aus den Konsequenzen neue Konflikte ergeben, ist das eine andere Geschichte. Eine Fortsetzung habe ich bisher nicht geplant, aber vielleicht tritt der erwachsene Arzt Henrik ja irgendwann wieder in meine Fantasie und erzählt mir, wie er mit den Erkenntnissen umgegangen und sein Leben weiter verlaufen ist. Dann lasse ich gern wieder daran teilhaben.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Henrik mit diesen Fähigkeiten auszustatten?
Durch ein Buchprojekt des Website-Verlags, an dem wir mit der Seite kurzgeschichten.de teilgenommen hatten. Bei der Themen- und Titelsuche für unseren Beitrag schlug jemand »Metaatem« vor. Wir entschieden uns damals für etwas anderes, aber der Betreiber und ich mochten den Vorschlag so sehr, dass er mich bat, dazu eine Geschichte zu schreiben. Da ich zu dem Zeitpunkt zufällig die Besprechungsformeln meines Urgroßvaters zugeschickt bekommen hatte, lag der Gedanke nah, diese Fähigkeit mit dem Atem zu verbinden und für das Meta zu überhöhen.

Sind die Formeln, die du im Buch verwendest die deines Urgroßvaters? Glaubst du an derartige Befähigungen?
Nein, ich habe eigene Formeln entwickelt. Die meines Urgroßvaters bleiben streng geheim. Es ist komisch, ich bin ja ein politisch denkender Mensch, der gern seine Fantasie benutzt, was solche Befähigungen betrifft, bin ich aber sehr zwiegespalten. Glaube – egal an was oder wen – wird so oft benutzt, um daran zu verdienen, um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu legitimieren, um Menschen zu manipulieren. Glaube hat aber auch eine ungeheure Kraft, kann die Selbstheilungskräfte aktivieren und helfen, Grenzen zu überwinden. Deshalb möchte ich auch als eher wissenschaftlich denkender Mensch solche Befähigungen nicht nur nicht ausschließen, sondern auch nicht missen. Der Glaube gibt oft die gerade in der Medizin wichtige Zuversicht, weiterzukämpfen.

Was hat dich dazu bewogen, die Geschichte so sprunghaft zu erzählen?
Das ist schwer zu sagen. Ganz sicher hätte sie chronologisch viel zu viele Längen gehabt. Sie hätte dann auch in der dritten Person erzählt werden müssen. Mein Gefühl riet mir zu Assoziationsketten als dem der Geschichten am hilfreichsten dienendem Stilmittel. Wenn Henrik uns anhand der Gegenwart in die Flashbacks seiner Entwicklung nähme, könnten wir uns in der Geschichte bewegen wie bei einer Städtereise. Heute diese, morgen jene Sehenswürdigkeit.

Mit welchem deiner Bücher oder Charaktere verbindest du etwas Besonderes?
Mit Simon aus »Ein tiefer See.« Ich wäre gern wie er und hätte auch gern einen Freund wie ihn. Seinetwegen habe ich mich in Internetforen lange Zeit immer nur als »sim« angemeldet.

Wird man irgendwann Sim wiederbegegnen oder ist er schon einmal in einer deiner anderen Geschichten aufgetaucht?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber ich würde mich freuen, wieder von ihm zu hören und schreiben zu dürfen, welche Wege er als Erwachsener ausprobieren und gehen durfte.

Du bist sowohl als Verlagsautor (Neobooks, Knaur) als auch als Selfpublisher aktiv? Welche Form der Veröffentlichung gefällt dir mehr?
Ich persönlich stecke da noch zu sehr in blockierenden Gedanken. Ich hätte gern einen Verlag wie Suhrkamp oder Diogenes, einen klassischen Literaturverlag. Das hat einige fürchterlich eitle, aber auch einige ganz pragmatische Gründe. Die eitlen stecken in meinem Wunsch, in der Welt der Feuilletons ernst genommen zu werden, als Künstler akzeptiert zu sein und dadurch natürlich auch über den stationären Buchhandel andere Verkaufsmöglichkeiten für meine Bücher zu habe, die ich nicht erst selbst erschließen muss. Das hat etwas von einem Künstler, der von seinen Werken zwar nicht leben kann, aber stolz auf deren Aushang in Galerien ist, auf die Vernissagen, das Geschwätz. Ich merke aber bei jeder Buchmesse, ich werde diesen Status nicht erlangen, selbst, wenn ich noch so gut arbeite und schreibe (wozu mir auch noch viel fehlt). Mir fehlt einfach diese Haltung, die ich bei diesen Menschen erlebe. Und da kann ich das Kreuz auch noch so sehr durchdrücken, die Schultern noch so gerade tragen. Ich weiß nicht, wie man diese Haltung erlangt.
Als Selfpublisher brauche ich die auch, da beeinflusst sie aber vor allem den Verkauf, nicht jedoch, ob ich überhaupt veröffentliche. Ich hänge noch immer in dem Gedanken, es sei ein Makel, nicht verlegt worden zu sein, obwohl ich weiß, dass es einem auch Freiheiten bietet, was die Gestaltung und die Vermarktung betrifft und Autoren der Unterhaltungsliteratur ohne Verlag sogar oft besser verdienen.

Was empfiehlst du Jungautoren? Den Gang zum Verlag, oder der Versuch in Eigenregie?
Den Selbstbewussten mit hoher Frustrationstoleranz immer beides. Weil sie auch durch das Feedback bei den Absagen weiterkommen. Den weniger Selbstbewussten kann man im Grunde kaum etwas raten. Es frustriert einfach, egal ob man nicht verkauft oder das Buch nicht genommen wird. Ich würde zumSelfpublishing raten, wenn der Verlag nur als E-Book erscheint. Es ist im Moment leider noch nicht egal, ob ein Buch auch im Print oder nur als E-Book erscheint. Und beim Print vor allem durch große Verlage sind die Chancen, sich durchzusetzen größer.
Für alles, was nicht zur Unterhaltungsliteratur gehört, sehe ich nur außerhalb dieser Selfbublishingnetzwerkamazon-Parallelwelt eine reelle Chance. Aber wie gesagt. Ich bin da auch noch sehr in blockierendem Denken verhaftet.

Gibt es zu Deinen Charakteren lebende Vorbilder?
Der eine oder andere inspiriert mich sicherlich, aber keiner wandert 1 zu 1 in eine Geschichte. »Wozu brauche ich Niko?« zum Beispiel habe ich nach der Geschichte eines Freundes geschrieben. Bei »Anpassung« trägt die Geschichte Spuren eines Mannes, den ich bei meinen Recherchen kennengelernt habe und der es mir vor allem ermöglichte, mit seinen Kindern darüber zu sprechen, wie sie diese Zeit erlebt haben.

Hast Du als Autorin Vorbilder? Was inspiriert Dich?
Wahrscheinlich immer die, die ich gerade selbst lese, egal, ob es Murakami ist oder Shalev, Schami oder Hesse. Ich denke so oft »boah, so würde ich gern schreiben können«, dass es viele Vorbilder gibt, aber vor allem zu viele, um einem davon wirklich zu folgen, anstatt meine eigenen Stil zu entwickeln.

Wie lang begleiten dich gelesene Bücher, deren Protagonisten, Handlung und das Zusammenspiel im Nachgang?
Es gibt Bücher. Die mich ewig begleiten. Tunströms »Solveigs Vermächtnis« oder auch sein »Der Dieb« zum Beispiel. Ich habe sie nicht mehr Satz für Satz im Kopf, aber wenn ich an sie denke, spüre ich immer noch die Wärme und die orgastische Begeisterung, die ich beim Lesen oft hatte. Ähnlich geht es mir bei den Büchern »Der Junge und das Meer« von Aitmatow oder »Wenn die Wale fortziehen« von Rychteâu. Aber ich könnte auch »Trapez« von Zimmer Bradley nehmen. Der Leitsatz »Halte es von der Plattform« hat sich mir als Aufforderung, persönliche Kränkung nicht die professionelle Arbeit beeinflussen zu lassen, tief eingegraben.

Du schreibst auch Krimis. Was reizt dich an diesem Genre?
Krimis kann ich nicht, obwohl ich gerade »Schuld« ein spannendes Thema finde. Wie wirkt sie sich auf ein weiteres Leben aus? Davon sind auch meine wenigen Krimis inspiriert. Auch hier finde ich das Motiv eines Menschen spannender als die Ermittlung. Was macht Menschen zu Tätern? Was lässt sie für den Moment ihrer Tat oder darüber hinaus glauben, sie handelten richtig oder sie hätten keine andere Chance? Ich finde Krimis aber für mich auch deshalb schwer, weil ich als Konsument so wenig Spannung vertrage.

Welche Genre würden dich noch interessieren?
Schwer, ich bin gegen diese Einteilung von Literatur in Genres. Ein Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte … – und wenn diese Geschichte einen fliegenden Elefanten braucht, um erzählt zu werden, wird dieser fliegende Elefant auftauchen. Ich habe noch nie verstanden, warum, obwohl Lesen doch den Horizont erweitern soll, ausgerechnet in der Literatur Grenzen und Schubladen geschaffen werden, weder als Leser noch als Autor. Als Leser merke ich aber immer einen starken Widerwillen gegen Geschichten, die fast nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt sind, um ungeschriebene Genrevorgaben zu erfüllen. Und ich tue mich schwer damit, zu verstehen, wenn mir Menschen sagen, sie läsen ausschließlich diese oder jene Bücher. Das ist mir zu eng.

Wie tief geht Deine Recherche zu Deinen Büchern?
Die Tiefe bleibt immer gleich, der Aufwand, sie zu erzielen, ist von Buch zu Buch verschieden. Das hängt von der eigenen Erfahrungswelt ab. Da ich 1955 noch nicht gelebt habe, musste ich für das »Haus der Jugend« zum Beispiel Interviews mit Menschen führen, die diese Zeit als junge Schwule gelebt haben, um aus deren Sicht ein Gespür für die Atmosphäre zu bekommen. Für »Anpassung« habe ich zunächst in thematischen Internetforen geschildert, was ich vorhabe, und dann bin ich bis in die Schweiz gereist, um Interviews mit Kindern Transsexueller zu führen. In diesen Interviews habe ich gelernt, wie sehr ich meinen Vorurteilen aufgesessen wäre, hätte ich sie nicht geführt. Ich studiere Wetterkarten der in einer Geschichte geschilderten Tage, lese die alten Zeitungsartikel zu den politischen und historischen Ereignissen der Zeit. Ich könnte eine Geschichte nicht im August 1961 spielen lassen, ohne den Mauerbau zu berücksichtigen, nicht mal in Tokio. Dazu haben manche Dinge die Menschen zu sehr bewegt. Selbst, wenn sie in der Geschichte nicht vorkommen, prägen sie die Zeit und die Menschen.

Wie wichtig ist das Thema Liebe und Romantik für Deine Bücher/Dich?
Romantik ist ein starker Ausdruck der Sehnsucht nach Harmonie. In Geschichten bietet sie dem Leser etwas, das er sich für sein Leben wünscht, aber nicht immer besitzt. Mit romantischen Motiven bin ich vorsichtig, weil der eine als Kitsch erlebt, was der nächste romantisch findet. Am schönsten finde ich es als Leser, wenn mir ein Buch hilft, die Romantik in Dingen zu finden, die ich habe. Im Duft von Kamillentee, der immer etwas von liebevoller Sorge in sich trägt, im Flügelschlag einer Schwalbe, im durch Strandgras verdichteten Blick aufs Meer. Wenn ich bei einem Buch die Augen schließen und den Thymian riechen kann, der gerade beschrieben wurde, ohne an mein Gewürzregal zu gehen.
Liebe ist so mächtig, dass sie seit Anbeginn der Geschichten diese initiiert. Das beginnt schon bei der Schöpfungsgeschichte, zieht sich über Koran und Bibel fort und ist heute nicht anders. Liebe tötet und Liebe heilt, Liebe opfert und fordert Opfer. Liebe ist das Motiv für Verbrechen, aber auch das, sich zu überwinden. Sie ist unser wirksamstes Medikament, hat aber auch die grausamsten Nebenwirkungen. Sie kann in keiner Geschichte der Welt fehlen, auch, wenn es sich manchmal nur um die Liebe zu Dingen handelt, oder um die Liebe zur Macht, oder die zum Sport. Und wenn es in einer Geschichte keine Liebe gibt, macht die Liebe sich in genau dieser Geschichte gerade deshalb zum Thema.

Wie stehst Du zum klassischen romantischen “Gay Romance”? Könntest Du in diesem Bereich schreiben?
Ich nehme an, ich könnte es, aber es reizt mich bisher nicht. Vor 5 Jahren hätte ich vielleicht sogar nicht gefragt, warum man sich freiwillig ein literarisches Getto wählt und es Genre nennt. Inzwischen hat sich die Situation Homosexueller in einigen Ländern drastisch verschärft und auch hier ist die Akzeptanz wieder gesunken. Dennoch wäre ich für eine Literatur, in der es am Ende völlig egal ist, ob sich zwei Männer oder zwei Frauen oder Mann und Frau lieben, solange die Geschichte berührt.

Liest Du Gay Romance oder bist du eher ein Fan realistischer Gay-Romane? Wie sieht es allgemein mit denen Buch-Vorlieben aus?
Gay Romance ist einfach ein Etikett, ich kann mit diesem Begriff nicht so viel anfangen. Wenn er Menschen eine Orientierung bietet, in der sie die Bücher finden, bei denen sie sich wohlfühlen, ist er in Ordnung, die Gefahr der literarischen Gettos empfinde ich dennoch dabei. Persönlich lese ich Bücher nicht danach. Ich lasse mich gern verzaubern, zum Beispiel von der Erzählkunst Rushdies oder Schamis,
ich reise gern in die Welten Murakamis, lese Paul Auster oder Ralf Rothmann, zuletzt Meir Shalev, lese sie alle langsam und genieße den Sprachfluss.

Wie findest du den deutschen Markt im Gay Bereich? Wo siehst du ihn (und dich als Autor) in ein paar Jahren?
Ich wünsche den KollegInnen in diesem Bereich, dass der Markt sich hält. Der Literatur wünsche ich eher, dass Grenzen abgebaut und Schubladen geöffnet werden. Auch, weil sich unter den Romanen für diese Zielgruppenschublade viele Geschichten finden, die jeder lesen sollte.
Ich selbst werde als Autor sicher so erfolglos bleiben, wie bisher, obwohl ich sicher bin, auch sprachmelodisch werden meine Bücher reifer.

Was würdest du deine Leser fragen, wenn du etwas wissen möchtest?
Gar nichts. Ich fände das ähnlich eitel wie die Klischeefrage »Wie war ich?« Ich bin neugierig auf die Menschen, auf ihr Leben und die Bedingungen, in denen es stattfindet. Ich würde sie höchstens fragen, was sie zu erzählen hätten.

Deine Worte an die Leser?
Schön, dass ihr eure Sinne öffnet, um die Bücher und die darin enthaltenen Gedanken einzulassen.

Vielen lieben Dank für das tolle, informative Interview.

[CHARAKTERINTERVIEW] Siegfried und Darius aus “Haus der Jugend”

Das folgende Charakterinterview entstand nach dem Lesen von “Haus der Jugend”. Aus diesem Grund lassen sich natürlich Spoiler nicht vermeiden, wenngleich nicht alle Geheimnisse rund um Siegfried und Darius gelüftet werden. Es lohnt sich, das Buch zu lesen – aktuell ist das eBook für 0,99 Euro zu haben!

Der Schwimmponton an den Hamburger Landungsbrücken, mitten im Gewühl, dort, wo schon der Name des Restaurants Steak und Fisch offeriert, treffe ich mich mit Darius und Siegfried. Ein naheliegender Ort, haben die beiden sich doch dort nach 50 Jahren wieder getroffen. Sie sitzen schon, als ich ankomme. Beide erheben sich sofort, als sie mir die Hand geben. Darius kommt um den Tisch, zieht den Stuhl nach hinten, damit ich mich setzen kann. Wir bestellen uns Kaffee.
„Keinen Grog?“, frage ich Siegfried.
„Nein, es ist ja kein Winter.“

Juliane: Zunächst einmal heiße ich euch beide Willkommen und freue mich sehr, dass ihr euch bereit erklärt habt, mir einige Fragen zu beantworten.

Siegfried und Darius: Wir haben zu danken.

Juliane: Meine erste Frage richtet sich daher auch an euch beide, da mich natürlich brennend interessiert, wie es euch ergangen ist, nachdem ihr Darius „befreit habt“. Da der ein oder andere nicht genau weiß, was mit euch geschehen ist, wäre vielleicht ein kleiner Abriss ganz gut – natürlich ohne zu viel zu verraten.

Darius: Nachdem wir das Haus der Jugend verlassen haben, habe ich immer gewartet, dass irgendwas passiert.
Siegfried: Im Auto habe ich immer nach rechts geschaut. Ich hatte Angst, gleich eine lederne Leiche dort sitzen zu haben und Darius wieder zu verlieren.
Darius: Der kurze Abriss. Wir sind in eine einsame Gegend in Schleswig Holstein gefahren, um dem Haus das aktuellste Gemälde zu opfern, das Siegfried von mir gemalt hatte.

Juliane: Wie viel Zeit ist seitdem vergangen und wie habt ihr inzwischen euer gemeinsames Leben gestaltet. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass ihr euch nicht mehr trennen werdet, oder?

Siegfried: Irgendwann werde ich sterben. Ich bin jetzt 80 Jahre alt, damals war ich 70. Wir hatten noch zehn Jahre, das ist viel mehr, als wir während der Rückfahrt damals zu hoffen gewagt hätten.
Darius: Ich altere. Allerdings nicht rapide, sondern ich habe mich einfach wieder in den biologischen Rhythmus gefügt. Ich helfe Siegfried, wo immer ich kann und freue mich, dass er noch so gut beieinander ist.
Siegfried: Die Menschen glauben, du wärest mein Pfleger. Das ist gut. Sonst würden sie dumme Fragen stellen.
Darius: Du brauchst gar keinen Pfleger. Natürlich bleiben wir zusammen und hoffen noch auf viele Jahre.

Juliane: Zehn Jahre also schon – das ist immerhin ein wenig Zeit, die ihr zusammen verbringen könnt, wenn man bedenkt, dass euch fast 50 Jahre trennen. Dass Darius als jugendPfleger angesehen wird, ist da wahrscheinlich wirklich gut, aber ich stelle mir das auch schwierig vor.
Hast du in den letzten Jahren deine damalige Entscheidung eigentlich bereut, Siegfried? Immerhin hättest du auch einen anderen Weg einschlagen können.

Siegfried: Welche Entscheidung hätte ich bereuen sollen? Als wir damals erneut in das Haus der Jugend gefahren sind, um den Fluch zu beenden, wusste ich, ich müsste offen und neugierig sein. Ich hatte keine Gewissheit, was passieren würde. Aber ich würde mich immer wieder so entscheiden.
Schwierig war es erst danach, Darius eine legale Identität zu verschaffen.

Juliane: Ich meinte eigentlich deine Entscheidung aus dem Jahr 1955. Ich stelle es mir schwer vor, wenn dich über 50 Jahre vom Partner trennen.

Siegfried: 1955 hatte ich keine Wahl …
Darius: Das Aloisiushaus hat dir keine Wahl gelassen …
Siegfried: Ob das Haus oder das Leben, ich hatte keine. Bereut habe ich nur manchmal, wie weh ich Heinrich getan habe. Die treue Seele hat mich geliebt und hat sogar das Gespenst Darius ertragen. In jedem Bild.

Juliane: Oh, dann habe ich das falsch verstanden – ich hatte gedacht, dass du 1955 durchaus die Wahl hattest, so zu werden wie Darius, dich aber dagegen entschieden hast.

Siegfried: Nein, das hast du schon richtig verstanden, aber diese Option schreckte mich so sehr, dass ich sie als Wahlmöglichkeit gar nicht wahrgenommen hatte.

Juliane: Das kann ich verstehen – ich glaube, es würde jeden erschrecken ewige Jugend im Austausch für sein Erinnerungsvermögen zu erhalten. Dass du es schwer hattest, Darius, kann ich mir vorstellen. Wie habt ihr das hinbekommen? Immerhin ist es nicht mehr so leicht einen Ausweis zu „fälschen“ wie damals.

Darius: Mit dem Pass hatten wir Glück. Ich hatte ja noch in München einem Toten den Ausweis abgenommen. Komischerweise hatte den nie jemand als verstorben gemeldet. Und mit viel Überzeugungskraft konnten wir das Geburtsdatum als Eingabefehler glaubhaft machen. Vielleicht haben wir auch nur so lange genervt, bis sie ihre Ruhe haben wollten.
Siegfried: Du und deine Geschichten. Ich habe immer noch gute Bekannte …

Juliane: Wie war das bei dir Darius? Jetzt wo du alterst und nicht mehr unter dem Bann des Hauses stehst – ist bei dir die Erinnerung an deine Vergangenheit zurückgekehrt?

Darius: Nein, leider blitzen höchstens mal kleine Erinnerungen auf, die Provence, ein Moment am Meer. Meist so, wie es jeder auch von sich kennt. Eine Situation wirkt, als hätte ich sie schon einmal erlebt.
Siegfried: Manchmal kannst du auch im Gespräch mit mir plötzlich etwas erzählen, fast als wäre es wichtig, dass du dich erinnerst.
Darius (lachend): Siegfried, hör auf, den Fluch des Aloisiushaus’ neu zu beschwören.

Juliane: Das bringt mich zu der Frage: Ist euch in all der Zeit der „Wolpertinger“ eigentlich jemals wieder begegnet?

Siegfried: In den letzten zehn Jahren ist er uns nicht mehr begegnet – oder dir?
Darius: Nein, mir auch nicht, was schade ist. Ich kann nicht mehr einfach in die Taschen greifen und habe das Geld, das ich gerade brauche oder das Stück Schinken.

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Juliane: Haha, das ist natürlich ein Problem. Jetzt musst du wirklich arbeiten, oder? Was machst du denn beruflich, Darius? Jetzt wo du quasi sesshaft geworden bist?

Siegfried: Er müsste nicht arbeiten, er möchte aber.
Darius: Ich möchte es für mich. Ich genieße es, mal keinen Drecksjob zu erledigen. Und du hast mir schon das Studium finanziert. Kannst du dir vorstellen, wie großartig es war, endlich auf dem Papier zu existieren und deshalb studieren zu können?
Siegfried: Er hat Energie- und Umwelttechnik studiert und arbeitet jetzt beim TÜV.
Darius: Und ich fühle mich endlich als Teil dessen, was ich tue. Ich bräuchte tatsächlich nicht zu arbeiten (gibt Siegfried einen Kuss), aber ich freue mich auf die Arbeit, und wenn ich dort bin, freue ich mich darauf, nach Hause zu kommen. Ganz schön spießig, oder?

Juliane: Nachdem man mehrere Jahrhunderte ohne Erinnerungen gelebt hat, ist es verständlich, dass man sich nach Normalität seht. Wie sieht es denn mit deinen Fähigkeiten aus? Früher konntest du doch die Geschichten der Menschen „aus der Haut“ lesen. Geht das jetzt immer noch?

Darius: Nein, das kann ich nicht mehr.
Siegfried: Bei mir machst du es aber immer noch.
Darius: Nur, weil ich dich so gern berühre. Und ich kenne dich gut genug.

Juliane: Vermisst du diese Fähigkeit?

Darius: Nein, ich habe sie selbst, als ich sie hatte, nur ganz selten angewendet. Ich hatte irgendwann keine Lust mehr, mir die Geschichten der Menschen zu erfühlen. Vielleicht habe ich das als eine merkwürdige Art Treue Siegfried gegenüber empfunden, niemandem mehr so nahe zu kommen?
Siegfried: Du hast dich doch nicht mal an mich erinnert.
Darius: Deshalb merkwürdig, weil ich dennoch das Gefühl habe, du warst immer da.

Juliane: Wie war das überhaupt in der Zeit, in der ihr euch nicht gesehen habt – Darius hat ja Siegfried vergessen und umgekehrt. Und was für ein Gefühl war es, als ihr euch eines Tages zufällig wiedergesehen habt.

Siegfried: Ich habe ihn nicht ganz vergessen, sonst hätte ich ihn ja nicht wieder und wieder malen können.
Darius: Es war weniger ein Erkennen, ich wäre ja an ihm vorbeigelaufen. Aber als er mich ansprach, war es eine Gewissheit, wie man sie manchmal hat, bevor etwas geschieht. Jetzt ist es für immer. Als wüsstest du schon bei der Abgabe eines Lottoscheins, du hast mindestens fünf Richtige. Du kannst es nicht wissen, dennoch bist du sicher. Aber erst, wenn du dann wirklich 5 Richtige hast, wird dir vollkommen bewusst, dass du es schon bei der Abgabe gewusst hast.
Siegfried: In Talkshows würde man an dieser Stelle immer sagen, um das zu erfahren, müsste man das Buch nur kaufen.
Darius: Du wirst ganz schön frech auf deine alten Tage.
Siegfried: Ohne Frechheit hätte ich als Schwuler die Sechziger-Jahre nicht überlebt.

Juliane: Na dann sag ich das an dieser Stelle – wer mehr dazu erfahren will, sollte sich das Buch kaufen. Florian hat eure Geschichte immerhin sehr gefühlvoll zu Papier gebracht. Findet ihr, dass Florian eure Geschichte passend erzählt hat? Oder gibt es da Beschwerden?

Siegfried: Ich finde, er hat mir gut zugehört. Manchmal hätte er etwas weniger blumig …
Darius: Hör mal, du bist Maler, das hat er umgesetzt.
Siegfried: So gesehen passt es natürlich.
Darius: Ich kann wenig dazu sagen, auch da hoffe ich, er hat meine Geschichte besser getroffen, als ich sie erinnere. Aber wenn ich das Buch lese, bin ich zufrieden damit.

Juliane: Und? Wird er irgendwann einmal wieder die Ehre haben, etwas über euch zu schreiben? Ich meine 10 Jahre sind vergangen, da ist doch sicherlich auch das ein oder andere passiert.

Siegfried: Wenn ich so sinniere, müsste ich ihm vielleicht noch mal über die Jahre mit Heinrich erzählen …
Darius: Ja, das würde mich auch interessieren. Und du könntest vielleicht etwas bei ihm gutmachen?
Florian06Siegfried: Ja, aber das kann ich auch mit ihm allein ausmachen. Er liebte die Öffentlichkeit nicht so sehr.

Juliane: Ganz entlassen seid ihr damit noch nicht. Ich habe jetzt herausgefunden, was Darius beruflich so treibt, allerdings interessiert mich auch, wie es bei Siegfried aussieht. Was macht die Malerei? Bist du immer noch als Künstler aktiv?

Siegfried: Nein, ich hatte das ja schon aufgegeben, bevor ich Darius wiedergetroffen habe und bin dann nur für dieses letzte Gemälde von ihm ins Atelier zurückgegangen.
Ich zeichne nur noch beim Telefonieren.

Juliane: Wie schade … fehlt dir das Malen und zeichnen nicht manchmal?

Siegfried: Nein, es ist, als hätte ich im übertragenen Sinne mein Haus aufgeräumt und nichts mehr zu tun. Ich habe alles gemalt, was es für mich zu malen gab.
Darius: Dafür entwickelst du bei den Bildern junger Kollegen aber noch ganz schön aktiv Ideen, wie man das Thema auch hätte umsetzen können.
Siegfried: Ideen gehen ja nicht aus. Aber es sind nicht meine Bilder. Und die Jungen haben ein gutes Gespür, was sie annehmen und was überhaupt in die Zeit passt.
Darius schmunzelt.
Siegfried: Er hat ja recht, ich gehe immer noch gern in Galerien und Museen, aber mein Pinsel bleibt an seinem Haken an der leeren Staffelei.

Juliane: Was mich auch interessiert, ist, ob du jemals auch andere Modelle für deine Bilder verwendet hast? Seinen Partner Heinrich zum Beispiel.

Siegfried: Heinrich mochte es nicht, wenn ich ihn malte. Ich habe es mal aus dem Gedächtnis gemacht und ihn auch gut getroffen, nur eine Kohlezeichnung, aber er hat verlangt, dass ich sie vernichte.
Dabei hat er es genossen, die unterschiedlichsten Klänge und Rhythmen mit seinen Fingern auf meiner Haut zu erzeugen. Wie als Kind mit dem Zweig auf meiner Lederhose. Aber malen durfte ich ihn nicht.
Und wahrscheinlich hätte ich das jetzt auch besser nicht erzählt.

Juliane: Warum? Denkst du, dass Heinrich wirklich ein Problem damit gehabt hätte?

Siegfried: Er hielt sich gern bedeckt. Deshalb hat er ja auch lieber als Studiomusiker gearbeitet. Da blieb er im Hintergrund und niemand wurde auf ihn aufmerksam. Nach der Geschichte in der Kinderverschickung vielleicht kein Wunder.

Juliane: Kinderverschickung?

Darius: Davon hat Florian im Roman auch geschrieben. Unter den Nazis wurden Heinrich und Siegfried aufs Land geschickt. Und nachdem Heinrich beim Wandern mit einem Zweig immer auf Siegfrieds Lederhose geschlagen hat, gab es eine drastische Strafe. Im Roman wird es ein bisschen als Traum dargestellt.

Juliane: Ah – ich erinnere mich. Dann will ich da gar nicht weiter nachhaken, sondern verweise mal ganz dreist auf den Roman. Zurück zu Heinrich. Über ihn erfährt man ja leider nicht viel. Könntest du uns mehr über ihn verraten? Wie hast du ihn kennengelernt und wie habt ihr gemeinsam gelebt?

Siegfried: Ich kannte ihn ja seit meiner Kindheit. Als er später in einer Zeitung von meiner ersten Ausstellung las, meldete er sich bei mir. Er trommelte immer noch auf allem, spielte immer noch Klavier.
Aber wir konnten erst zusammenziehen, als ich mir das Haus leisten konnte. Er war da. Er verkaufte meine Bilder, handelte die Preise aus, telefonierte mit den Galerien und Museen. Und ab und zu spielte er für irgendwelche Sänger die Klavierparts auf die Schallplatte. Nur zu den Konzerten fuhr er für niemanden mit.
Darius: Ich habe ein paar Aufnahmen gehört. Deutscher Schlager.
Siegfried: Den hat er gehasst. Aber er spielte so gerne Klavier, dass es ihm egal war.
Darius: Er hat gut gespielt.

Juliane: Lebt er noch? Und wenn ja, hat er Darius jemals kennengelernt?

Siegfried: Nein, er ist schon lange, bevor Darius wieder aufgetaucht ist, gestorben.

Juliane: Das tut mir leid. Wie glaubst du, hätte er auf den Mann reagiert, der dich zu all diesen Bildern inspiriert hat?

Siegfried: Ich weiß es nicht. Ich habe ja auch Heinrich wirklich geliebt, nur ist die Sehnsucht eben so viel heißer als die Liebe der Gegenwart. Die Liebe zu Heinrich war so selbstverständlich, deshalb brannte sie nicht so sehr.
Und das hat er sicher gespürt, auch, wenn er es sich nie anmerken lassen hat. Vielleicht hätte er Darius’ Rückkehr als Erlösung empfunden, vielleicht als Bedrohung seiner

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Der Autor – Florian Tietgen

Sicherheit. Wir waren bis zu seinem Tod zusammen.
Darius: Mach dir kein schlechtes Gewissen, ich konnte an deiner Haut fühlen, wie sehr du ihn geliebt hast.

Juliane: War Heinrich der einzige Mann, mit dem du zusammen warst, von Darius einmal abgesehen? Es ist schon etwas Besonderes, mit jemandem eine solch lange Zeit sein Leben zu teilen.

Siegfried: Es war es vor allem zu dieser Zeit. Trotz der Bedrohung durch Gesetze und Erpresser haben wir sie ja genossen. Keine Konzentrationslager mehr, keine rosa Winkel. Und wenn auch als Subkultur, es gab Läden, in denen wir uns aufhalten konnten. In München und auch in Hamburg. Und wo man Freiheit empfindet, selbst, wenn sie nicht wirklich da ist, feiert man sie zunächst. Und das natürlich auch mit Männern.
Darius: Ich beneide dich immer um Heinrich, um die jahrelange Treue. Ich hatte das nie. Und ich glaube, auch die nicht verfluchten Männer, mit denen ich schlief, hatten das häufig nicht. Viele gingen hinterher nach Hause zu ihrer Frau, die sie sicher schätzten, bei der ihnen aber immer etwas fehlte. Und niemand konnte dafür. Ihr musstet ja immerhin noch 13 Jahre in der Gewissheit durchhalten, dass eure Liebe eine Straftat war.
Siegfried: Das machte uns komischerweise nur selten Angst.

Juliane: Dennoch ist das eine harte Zeit gewesen – für heutige Maßstäbe nur schwer vorstellbar. Was denkt ihr über die aktuelle Entwicklung – es wird ja viel diskutiert: Homo-Ehe, Adoption etc. Hättet ihr gedacht, dass ihr das einmal miterleben würdet?

Siegfried: 1955 sicher nicht, auch später nicht, als 68 das Gesetz dann endlich gemildert wurde. Aber irgendwann um die Jahrtausendwende schien es ja schon fast, als wäre der Kampf vorbei und gewonnen.
Darius: Ich kann dazu nichts sagen. Mein wirkliches Gedächtnis setzt erst mit der Fortsetzung der Alterung wieder ein. Alles andere ist bruchstückweise mal da, dann wieder weg. Und 2005 war ja eines der Jahre, in denen selbst die CSD-Paraden von Familien mit Kindern besucht wurden.
Siegfried: Verzeihung, die Frage war ja, was wir von der Entwicklung halten. Die finde ich natürlich großartig. Und ich wünsche den Jungen von heute, dass es weiter so zügig vorangeht.

Juliane: Ah, da mischt sich der Autor ein – das muss ich doch gleich nutzen, um mal eine Frage der etwas anderen Art zu stellen: Findet ihr, dass Florian eure Geschichte passend erzählt hat? Oder gibt es da Beschwerden?

Siegfried: Ich finde, er hat mir gut zugehört. Manchmal hätte er etwas weniger blumig …
Darius: Hör mal, du bist Maler, das hat er umgesetzt.
Siegfried: So gesehen passt es natürlich.
Darius: Ich kann wenig dazu sagen, auch da hoffe ich, er hat meine Geschichte besser getroffen, als ich sie erinnere.

Juliane: Hast du dich eigentlich jemals mit deiner Mutter aussöhnen können, Siegfried? Und wie ist deine Beziehung zu deinem Vater gewesen, nachdem du in Hamburg dein Studium begonnen hast?

Siegfried: Ich habe meine Mutter seit München nie wieder gesehen. Ich weiß nicht mal, wann mich ein Notar anrief, weil sie gestorben ist. Das war so weit weg, dass ich ihm nur gesagt habe, ein Erbe würde ich ablehnen. Und gefragt habe ich ihn, ob die Bestattungskosten gedeckt wären. Das immerhin muss man ihr lassen. Sie hat auch, als meine Bilder bekannter wurden, nicht versucht, sich wieder anzubiedern.

Meinen Vater habe ich, bis er starb, ab und zu besucht, er ist aber nie nach Hamburg gekommen, obwohl es hier so schön ist. Erstaunlicherweise war er, der einst überzeugte Nazi, viel offener. Vielleicht kann man eine Überzeugung leichter infrage stellen und sogar aufgeben, wenn es wirklich eine Überzeugung war, nicht nur Mitläufertum? Vielleicht war er aber auch ein Meinungschamäleon, dass immer die Überzeugung teilte, die es ihm an leichtesten machte, vorwärtszukommen. Nazi unter Nazis, Demokrat unter Demokraten. Und in der DDR wäre er möglicherweise Kommunist unter Kommunisten geworden. Aber den Moment, in dem er mir half, habe ich als ehrlich empfunden. Und viele andere später auch.

Juliane: Das ist schade. Aber ich denke, du hast in Hamburg auch viele Freunde gefunden. Gibt es jemanden, der euer Geheimnis kennt und Bescheid weiß?

Siegfried: Nein, nicht mehr. Einen mussten wir wegen Darius’ Ausweis einweihen. Er ist aber wie die meisten meiner Freunde schon gestorben. Das ist der Fluch des Alters.
Darius: Ich bin es ja nicht gewohnt, Freundschaften von Substanz und Dauer zu schaffen. Ich hatte immer Angst um mein Geheimnis. Und jetzt lerne ich erst langsam, Menschen zu vertrauen. Aber so tolerant ist unsere Gegenwart auch noch nicht, dass niemand das Gesicht verziehen würde, wenn er von unserer Beziehung hört.

Juliane: Ja, das ist schon logisch – euch trennen ja „optisch“ knapp 50 Jahre. Was denkst du, wie es weitergehen wird, wenn Siegfried irgendwann nicht mehr da ist (natürlich wünsche ich euch noch viiiiele gemeinsame Jahre, aber man weiß ja nie…)?

Darius: Das lasse ich auf mich zukommen. Dank des Studiums bin ich ja sicher, nicht vor Langeweile umzukommen. In dem schönen Haus hier werde ich wohnen bleiben können.
Ich hoffe, wenn es in vielen Jahren mal wirklich so weit sein sollte, bin ich in der Lage, Freundschaften zu schließen. Aber von mir aus kann Siegfried gern so alt werden, wie ich es bin.
Siegfried: 150? Oder wie alt bist du?
Darius: Ich kann mich doch nicht erinnern.

Juliane: Das würde mich jetzt auch interessieren. Das kann man allerdings im Buch zumindest erahnen, wenn man sich die Passagen über Darius genau ansieht – finde zumindest ich.

Darius: Ganz genau weiß ich es wirklich nicht, dazu reichen die schlaglichtartigen Erinnerungen nicht aus. Ich kann es auch höchstens ahnen.

Juliane: Vielleicht kommt ja irgendwann mehr zurück. Es wäre auf jeden Fall interessant.
So langsam will ich euch aber mit meinen Fragen in Ruhe lassen – ihr habt mehr als genug Geduld mit mir gehabt und euch viel Zeit für mich genommen – ich danke euch.

Darius und Siegfried: Wir haben zu danken, es hat Spaß gebracht.

Juliane: Ich wünsche euch noch alles erdenklich Gute und viele schöne Jahre zusammen – vielleicht ist ja auch irgendwann eine Zeit gekommen, in der wir mehr von Heinrich hören – ich bin mir sicher, Florian wird dann ein geduldiger Zuhörer und Chronist sein.

Darius und Siegfried: Das wird er.


Jetzt habt ihr die Möglichkeit Siegfried und Darius ebenfalls Fragen zu stellen! Schickt sie einfach an Koriko@gmx.de – ich leite sie entsprechend weiter. Alle, die sich bereits jetzt daran beteiligen, nehmen automatisch am Gewinnspiel teil, das am Samstag startet und bei dem es signierte Bücher von Florian Tietgen zu gewinnen gibt.

[AUSWERTUNG] Gewinnspiel Raik Thorstad

Hallo in die Runde,

endlich ist es soweit – das Leserinterview und die Gewinnspielauswertung stehen an. Insgesamt haben 12 Leute Fragen eingereicht(Andy sowohl nach dem Interview mit Steffen und Alex, als auch nach dem Gewinnspielaufruf), teils an die Autorin gerichtet, teils an die wundervollen Charaktere. Vielen Dank an alle die sich an der Aktion beteiligt haben und mit einigen tollen Fragen aufwarteten. Bevor die Gewinner bekanntgegeben werden, übergebe ich das Wort an Raik und ihre Schöpfungen.

Hier die Antworten zu euren Fragen:

Von Steffen würd ich gern wissen, wie es ihm ging, kurz bevor er nach so langer Zeit wieder auf Alex zugegangen ist, war bestimmt nicht leicht. (Andy)

Steffen: Oh Shit, das hätte ich echt sehr gern im Dunkeln gelassen. Naja, erst einmal habe ich mir dafür ziemlich viel Zeit gelassen. Wurde mir auch von anderen geraten. Zuerst den eigenen Dreck vom Hof kehren, dann erst wieder andere mit ins Boot holen. Ich war es mir und auch Alex irgendwie schuldig, dass ich nicht bei ihm an der Tür kratze, wenn ich noch nicht wieder beieinander bin. Hmmpf. Ihm wäre es vermutlich sogar wurscht gewesen.

Egal. Jedenfalls: Ich hatte unglaublich Schiss, dass er mir in den Hintern tritt und mich wegschickt. Und … also … einmal war ich auch vorher schon bei ihm auf der Arbeit und hab dann gekniffen. Sehr nervös also.

Dann würd mich noch interessieren, wie sich Steffen mit Thomas versteht, haben sich die beiden vielleicht sogar angefreundet? (Andy)

Steffen: Das war anfangs natürlich nicht ganz so leicht. Alex und Thomas hatten ihren Teil zwar geklärt. Aber für Thomas war ich erst einmal nur die Klemmschwester, die jemandem, der ihm immer noch wichtig war, ziemlich eins reingewürgt hatte. Inzwischen hat sich das aber gebessert. Wir kommen so gut miteinander aus, wie ein Banker und ein Rocker eben miteinander auskommen. 😉 Kinoabende, Partys und gemeinsame Workouts und so sind sehr entspannt und cool. Aber für best buddys wird es wohl dann doch nicht reichen.

Und von Alex hätt ich gern erfahren, wie seine Freunde drauf reagiert haben, als sie erfahren haben, warum er so lange so schräg drauf war. Sie mussten ja ziemlich viel aushalten. (Andy)

Alex: Das war unterschiedlich. Einige haben ähnlich wie meine Schwester reagiert. Sie waren ein bisschen angefasst, weil ich mich ihnen nicht anvertraut hatte. Andere hatten sehr viel Verständnis. Das waren meistens die, die schon eine Ahnung gehabt hatten. Ich habe hinterher erst begriffen, dass sich doch ‘ne Menge Leute Gedanken um mich machen. Das war schon rührend zu sehen. Ich glaube, am Ende waren alle genauso erleichtert wie ich, als ich Steffen anschleppen konnte, und sagen: „Okay, Leute, voila. Das ist er und das Versteckspiel ist vorbei.“

Jetzt hab ich ja schon an allen möglichen Stellen gelesen, dass du mal auf der Bühne gestanden bist. Scheinbar mit einer E-Gitarre in der Hand. Also Volksmusik war’s dann schon mal nicht – Klassik auch nicht. Was hast du für Musik gemacht? (Andy)

Teilweise hast du recht, teilweise nicht. 😉 Ich habe ein Faible für „handgemachte“ Musik jeder Art. Und da ich neben der E-Gitarre früher Konzertgitarre, Querflöte und Saxophon gespielt habe und auch eine klassische Gesangsausbildung hinter mir habe, war das Spektrum ziemlich groß.

Heißt also: Von Chören über Orchester bis zu Big Bands und eben Rockbands war alles dabei. Meine große Liebe gilt aber immer noch dem Metal und all seinen Mischformen. Entsprechend war da auch immer mein Hauptschwerpunkt, gerne eben auch in Kombination mit anderen Richtungen. Allerdings: Über eine fette Big Band geht auch nicht viel drüber. 😉

Schaust du auch gerne Filme mit homosexuellen Hauptcharakteren? Ich hab z.B. als letztes Out in the dark gesehen und gern gesehen. Hast du da Lieblingsfilme? (Andy)

*g* Nur zum Verständnis: Wir reden nicht von Pornos, oder? *lach* Nein, mal im Ernst: Ich bin nicht so der ganz große Cineast, sondern eher so der Popcorn-Kinogucker. Mag auch daran liegen, dass ich finde, dass gewisse Themenbereiche im Film eher verlieren. Siehe „Maurice“, der vom Buch zum Film doch eine Menge verloren hat. Insofern habe ich hier und da zwar ein paar Filme wie „Shelter“, „Ciao“ und „Latter Days“ hier liegen. Aber so richtig erreichen tut mich das Genre im Film nicht.

Was mich nochmal interessieren würde, ist, ob du, Raik, öfter mal mit Schreibblockaden zu tun hast/hattest und wie du in der Regel damit umgehst? (Julia)

Japp, ich kenne das Thema Schreibblockade sehr, sehr gut. Meistens ist das bei mir aber ein Symptom für etwas anderes. Heißt: Es liegt nicht am Schreiben selbst, sondern an meinem Gesundheitszustand, Stress, Ärger im Umfeld, grundsätzlichen Selbstwertrangeleien und so etwas. Insofern muss ich dann meistens zusehen, dass ich erst einmal um mich herum aufräume.

Was ich für mich festgestellt habe, ist, dass Druck überhaupt nicht hilft. Sich also hinsetzen und sagen: „Du schreibst jetzt, egal, was passiert“, bringt mir gar nichts. Ganz im Gegenteil. Meistens klappt es, wenn ich mich anders herum austrickse und sage: „Du machst jetzt zwei Wochen schreibfreie Zeit.“ Dann kommt meistens der Plot um die Ecke gequengelt und setzt sich auf meinen Schoss.

Und verlaufen deine Geschichten in der Regel schon “nach Plan”, also nach dem Grundgerüst, das du am Anfang über den Verlauf erstellst (wenn du das überhaupt tust) oder kommt es vor, dass deine Jungs dir da auch mal einen Strich durch die Rechnung machen und sich die Story etwas “verselbstständigt”? (Julia)

Sagen wir mal so: Es gibt am Anfang einen festen Plan bestehend aus Anfang, verschiedenen Fixpunkten, Barrieren und dem Ende. Zwischen diesen Phasen will ich immer einen bestimmten Entwicklungsweg für die Charaktere abarbeiten. Es kann dann vorkommen, dass ich Stelle X erreiche und dass ich merke, dass die Jungs einfach noch nicht „so weit“ sind. Und dann entstehen quasi von allein ein paar Schlenker auf dem Weg. Auch Gewichtungen haben sich schon einmal bei einem Buch von mir verändert. Aber allgemein verläuft das schon nach Plan.

Stell’s dir einfach wie eine Wanderung vor, die du geplant hast. Du weißt, du willst vom See zum Berggipfel. Unterwegs entdeckst du aber noch eine besonders nette Ecke aus der Ferne, läufst deswegen einen Bogen mehr, zwischendurch kommt ein Wolkenbruch, sodass eine ungeplante Nacht in der Schutzhütte gibt und so weiter. Am Ende kommst du aber auf dem richtigen Berg an – und nicht auf dem nebenan. 😉

Ist es schon mal vorgekommen, dass Du als Verleger ein eingereichtes Manuskript als richtig gut empfunden hast, aber mit Rücksicht auf den Markt, sprich die Verkäuflichkeit, trotzdem ablehnen musstest? (Anita)

Ja, das ist schon vorgekommen und das wird auch wieder geschehen, fürchte ich. Es gibt manchmal Manuskripte, die zu speziell oder auch einfach zu groß für den Verlag sind. Das sind Bücher, die eine größere Reichweite brauchen und ein stärkeres finanzielles Sicherheitsnetz. Das sind sehr bittere Entscheidungen, weil man genau weiß, dass man in 10 Jahren und mit einer etwas anderen Aufstellung anders handeln würde.

Die Alternative in so einem Fall wäre, das Buch trotzdem zu nehmen und an verschiedenen Punkten in der Produktion Abstriche zu machen. Und das finde ich weder unseren Lesern noch dem Autor gegenüber fair.

Ich würde gerne mal in den Kopf von Aidens Schwester Branka schauen; wie hat sie die Situation erlebt, als Aiden in die Festung verschleppt wurde? (Anita)

Branka: Hah! Wie nett, dass jemand mich mal fragt. Finde ich super. Danke dafür!

Als sie Aiden von uns weggeholt haben, ist etwas in mir erst zerbrochen und dann sofort mit einem Haufen Stacheln auf dem Buckel wieder hochgeschossen. Wir hatten es vorher schon so verdammt schwer. Mutter tot, Vater gesundheitlich angeschlagen. Und niemand hat uns gefragt, ob wir auf Aiden verzichten können. Ich habe mich schon immer mit dem System schwergetan. Aber in dem Punkt ist das Fass übergelaufen. Ich sah, wie sie ihn wegbrachten. Mein einziger Bruder. Ich wollte ihn hergeben und habe mich deswegen sogar schäbig gefühlt, weil ich es ihm ja gönnen sollte, dass er ein besseres Leben führen würde.

Aber ich war einfach unglaublich wütend. Dieser Zorn hat mich in den Widerstand getrieben. Ich hatte vorher schon damit geliebäugelt und dann war es einfach an der Zeit, aktiv zu werden.

Warum hat der Incubus-Verlag „für 2015 keine regulären Veröffentlichungsplätze“ mehr? (Bernd)

Das hat etwas mit der grundsätzlichen Produktionsweise von uns zu tun. Wir haben uns gleich bei der Gründung dagegen entschieden, uns an die üblichen „On demand“-Systeme binden zu lassen. Das bedeutet für uns, dass jedes Buch komplett vorfinanziert werden muss und wir dadurch nur eine Summe X an festen Produktionsplätzen pro Jahr haben. Es spielt auch ein Lagerplatzproblem mit hinein, das wir allerdings noch dieses Jahr beheben werden.

Dazu kommt, dass wir ein bisschen Luft für unsere Stammautoren lassen möchten. Bedeutet: Wenn Cecil Dewi oder Dennis Stephan zu mir kommt und sagt: „Mich hat die Muse geküsst, kannst du mein Buch rausbringen“, möchte ich das mit einem „Ja“ beantworten können, obwohl die anderen Jahresplätze schon belegt sind.

Allerdings muss man ganz klar sagen, dass Buchproduktion auch immer ein bisschen Russisches Roulette ist. Kreative Prozesse lassen sich schlecht in Zeitpläne stopfen. 😉

Ist die Geschichte von Sascha und Andreas abgeschlossen oder darf man darauf hoffen, irgendwann in der Zukunft nochmal in ihre Welt einzutauchen? Oder wie stellst du dir das weitere Leben der beiden nach dem Ende vom zweiten Buch vor? (Emanuel)

Die Geschichte um Andreas und Sascha ist leider abgeschlossen, fürchte ich. Sie war von Anfang an als Zweiteiler angelegt und ich habe die Befürchtung, dass ein „Weiterschreiben“ immer aufgesetzt wirken würde. Allerdings sollte man natürlich vorsichtig mit solchen Aussagen sein. Wer weiß, ob mir in zehn Jahren für wirre Ideen kommen und ich auf einmal glaube, ganz dringend noch einmal bei ihnen weitererzählen zu müssen?

Die Frage nach ihrer Zukunft … puh. Schwere Frage, da das doch eine Menge umfasst. Ich denke auf jeden Fall, dass die beiden zusammenbleiben werden. Sie haben jetzt eine Menge durch und scheinen wirklich die passende Chemie zu haben.

Auf Dauer wird sich die Frage stellen, wie sie beruflich klarkommen. Ob Andreas nicht doch irgendwann in die Firma seiner Eltern einsteigt und ob es nicht irgendwann Ärger wegen des Gelds gibt. Denn auch wenn Sascha bestimmt sein Studium beenden und einen guten Job finden wird, hat er immer noch so einen neureichen Schnösel an Seite. Ich könnte mir vorstellen, dass es deswegen in der näheren Zukunft manchmal knallt.

Andreas wird wohl sehr oft versuchen, aus dem Haus zu kommen und manchmal dabei scheitern. Ich denke, sie werden versuchen, das eine oder andere an Reisen zu realisieren. Das Leben so richtig genießen und für Andreas eine Menge nachholen eben.

Übrigens: Vielleicht tröstet es ja ein bisschen, dass für die beiden ein Cameo-Auftritt in einem anderen Buch von mir geplant ist. 😉

Kannst du dich spontan an ein Kompliment zu deinen Büchern erinnern, welches dich besonders gefreut bzw. mit Stolz erfüllt hat? (Emanuel)

Uffz. Ja. Kann ich mich. Es sind mir einige Komplimente sehr nah gegangen. Ich finde es nur immer schwierig, da jemanden herauszupicken. Einigen fällt es leichter, sich auszudrücken. Es wäre da nicht fair zu sagen: „Oh, das ist aber ein viel schöneres Lob als das.“

Es gab allerdings immer wieder mal Post, wo mir Leute geschrieben haben, dass sie wegen der Hamburg-Reihe eine neue Sichtweise auf psychische Erkrankungen haben oder – falls sie selbst betroffen sind – endlich den Mut gefunden, aktiv zu werden und sich Hilfe zu suchen. Das ist schon fantastisch. Das fühlt sich innerlich schon sehr nach einem „Mission accomplished“ an. 😉

E-Book oder das ganz “Oldschool-Modell” aus Papier? (Emanuel)

Für mich privat? Oldschool one and only. 😉 Wobei ich in dem Sinne nichts gegen das Ebook habe, außer dass ich nach 10 Stunden am PC nicht noch ein Elektro-Dings vor der Nase haben mag.

Bücher sind für mich nur auch ein wunderbares Dekoelement in der Wohnung und etwas, was einen Raum unglaublich gemütlich macht. Ich möchte meine Schätze einfach im Regal sehen und ihnen auch durchaus ansehen, wie alt sie sind. An vielen hängen so tolle Erinnerungen dran …

Was könntest du dir vorstellen, irgendwann Mal zu schreiben? Was ganz anderes? Wieder Fantasy? Fortsetzungen der bisherigen Werke oder etwas ganz anderes? (Alexandra)

Einfache Antwort: Alles! *lach*

Okay, ein paar Grenzen gibt es dann wahrscheinlich doch. Aber ich glaube einfach, dass man bei kreativen Hobbys oder Arbeiten immer arg aufpassen muss, dass man nichts von vornherein ausschließt. Es gibt so ein paar Sachen, die ich mir gerade beim besten Willen nicht vorstellen kann. Aber ob es wirklich so kommt?

Auf jeden Fall werden von mir bald historische Sachen erscheinen. Daran arbeite ich aber schon deutlich länger als an den erschienenen Büchern. Das wäre noch einmal ein neues Feld.

Was Fortsetzungen angeht, sind nur welche für die „Zenjanischer Lotus“-Reihe geplant. Das wird eine Trilogie. Bei den anderen ist leider Sense. Na, jedenfalls zu 99 Prozent. 😉

Mich würde aber doch noch interessieren, welche Art von Musik Raik früher gemacht hat und, ob es da vielleicht noch ein Video oder eine Hörprobe gibt? (Mana)

Oh, ich fürchte, die Frage hat sich jetzt gedoppelt und ist weiter oben schon einmal beantwortet worden. Insofern: Metal ist meine große Liebe, aber ich hatte auch in Orchestern, Bigbands und Chören zu tun. Oh, und da war auch einmal eine Rockband, die Richtung Partymucke mit Punkeinschlag wegging.

Videos und Hörproben: Nein! *hektisch mit dem kopf schüttel* Ich will’s jedenfalls nicht hoffen, dass da noch was kursiert, was neuer als 1995 ist. 😉 Davor gibt es nur eine Reihe lustiger Videoaufnahmen, die bei meinen Eltern herumdiffundieren müssten. Mein Problem war bei der Musik immer, dass ich extremste Panik vor Auftritten hatte. Das heißt, die Mitschnitte von Konzerten waren immer ein Debakel. Besonders Soloauftritte waren für mich die Hölle. Ich war definitiv ein Proberaum-Mensch.

Momentan lese ich das Ebook “Zerrspiegel” und stelle mir immer wieder die Frage, ob die Autorin Raik Thorstad jemanden wie den Protagonisten Steve (Steffen) Simon persönlich kennt. Ich kann mir einfach nicht so recht vorstellen, trotz umfangreicher Recherchen ihrerseits, einen Rockstar so explizit darzustellen. Simon kommt unglaublich glaubhaft rüber und überzeugt mich als Leserin enorm. (Sonny)

Erst einmal ganz herzlichen Dank für die Blumen. Super, dass er so gut ankommt der alte Chaot. 😉

Bei Steffen und seiner Darstellung kommt sicher eine Kombination aus vielen Hintergründen zusammen. Dass ich selbst so lange Musik gemacht habe, Freunde, die im Geschäft sind und/oder waren, mein Mann, der auch lange „Mucker“ und Sänger war und so weiter. Das Gefühl, auf einer Bühne zu stehen oder auf einmal in einer Situation sein, in der man nicht mehr das machen darf, was man eigentlich will, kenne ich zum Beispiel sehr gut selbst. Das heißt, ich habe und hatte schon reale Berührungspunkte.

Allerdings gibt es für Steve keine „echte“ Vorlage. Das wäre ja auch rechtlich ziemlich problematisch, wenn ich in ihm Sänger XY karikiert hätte.

Meine eine Frage ist, ob du Musik zum Schreiben hörst und wenn ja welche? (Sarah)

Das kommt ein bisschen darauf an, wie gut ich im Schreibfluss drin bin und natürlich auch darauf, an was ich schreibe. Bei „Zerrspiegel“ habe ich viel guten alten Hard Rock und Stoner Rock laufen lassen. Def Leppard, Poison, Guns n Roses, Chrome Division und solches Zeug. Bei historischen oder fantastischen Sachen kann ich das aber nicht so gut haben. Da höre ich oft Klassik – in erster Linie Orchesterwerke von Grieg, Sibelius, Smetana und so – oder Filmsoundtracks. Da fällt mir gerade Gladiator, X-Men, Herr der Ringe und diese Richtung ein. Schön pompös eben. 😉

Und die zweite, was du tust, wenn dich plötzlich eine Idee überfällt (wenn das denn vorkommt)? Also suchst du dann das nächstbeste Zettelchen oder lässt du sie auch wieder gehen. (Sarah)

Mit Zetteln arbeite ich komischerweise gar nicht. Ich speichere es im Kopf ab. Meistens schubse ich herannahende Ideen allerdings ziemlich brutal beiseite, weil ich eh schon viel zu viel auf meiner To-Do-Liste stehen habe. Und die, die immer wiederkommen, die brauche ich eh nicht aufschreiben, weil sie anhänglich wie Kletten sind. Man könnte also sagen, dass am Ende das aufgeschrieben wird, was sich besonders hartnäckig an meine Fersen geheftet.

Übel wird es nur, wenn ich irgendwelche Dialoge im Halbschlaf durchgehe und dann am nächsten Morgen alles vergessen habe. *seufz*

Gerne würde ich wissen, ob Raik beim Schreiben nebenher nascht oder ob sie was Besonderes trinkt und dabei bestimmte Musik hört? (Bri Mel)

Die Frage nach der Musik habe ich oben hoffentlich schon ausreichend beantwortet. =)

Zum Essen und Trinken: Man glaubt es kaum, aber ich vergesse beim Schreiben meistens beides. Man sollte also meinen, dass ich ein Strich in der Landschaft bin, der permanent dehydriert durch die Gegend torkelt. Aber da ich nach dem Schreiben zu Fressattacken neige, wird das nichts. Es ist schon ein paar Mal vorgekommen, dass mir während des Schreibens der Kreislauf weggesackt ist und dann von meinem Gatten die donnernde Frage kam: „Sag mal, hast du heute überhaupt schon was getrunken?“

Und ich dann: „Äh, ich muss weg …“

Aus Zerrspiegel hätte ich von Steffen gerne gewusst, ob er denn noch Kontakt zu einigen seiner Fans hat, oder diese komplett abgebrochen wurden. (Bri Mel)

Steffen: Ich hatte immer nur sehr wenig Kontakt zu einzelnen Fans. (Ganz anders als gewisse Schreiberlinge … *hust*) Es gibt ein paar Jungs aus den Anfangszeiten, die halb Fans, halb Mitschüler waren, mit denen ich in letzter Zeit wieder etwas mehr zu tun habe. Aber ansonsten ist da eher Flaute angesagt. Mir tut das immer ein bisschen leid. Es kommen immer noch viele Mails und Briefe. Aber ich fühle mich dem im Moment nicht gewachsen. (Das hat mir übrigens der Quacksalber in der Entzugsreha beigebracht. „Ich fühle mich dem nicht gewachsen“. Blah …)

Hat Steffen jemals vor, seine Musikkarriere wieder aufzunehmen? Wenn ja, wie steht Alex dazu? (Bri Mel)

Steffen: Dazu kann ich nur ganz klar „vielleicht“ sagen. Ich weiß es echt nicht. Im Moment bin ich mit meinem Studentenleben gut zufrieden. Es sind doch irgendwie ‘ne Menge interessante Sachen an mir vorbeigegangen. Die Musik werde ich nie aufgeben. Das ist mal sicher. Aber Karriere ist was anderes, als sich abends mit ein paar Jungs in einem mit Eierkartons isolierten Keller zu treffen und für jeden gespielten Song eine Pizza zu bestellen.

Alex: Hm. Hmmm! Ich frage mich das auch manchmal, wie ich dazu stehe. Auf der einen Seite ist Steffen ein Mensch, der die Musik und auch die Bühne braucht. Und gut ist er auch. Er hat viele Fans enttäuscht. Und ich meine, ich wusste ja, von Anfang an, wer er ist und was es bedeuten würde, mit ihm zusammen zu sein. Im Moment kann ich mir aber nicht vorstellen, dass er wieder Karriere macht und dass das gut geht. Ich hätte schon sehr viel Sorge, dass er wieder in irgendeinen Sog gerät.

Aber egal, wie es kommt: Auf jeden Fall müssten die Spielregeln andere sein. Dass er offen mit sich selbst ist und dadurch auch mit mir.

Geryim, sag doch mal. Wie war denn das damals, als geschickt wurdest, um den großen Meisterassasinen zu holen? Hattest du Angst vor Sothorn? (DieSchännieh)

Geryim: Hmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmpf!

Sothorn: DAS würde ich auch gern wissen.

Geryim: Hmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmpf!

Sothorn: Also ja.

Geryim: Von mir aus. Ja, natürlich hatte ich Angst. Wir haben alle Angst vor dem Tod, seitdem wir nicht mehr mit dem Kopf in den Wolken schweben. Es hat aber geholfen, dass ich wusste, dass Sothorn zu dem Zeitpunkt schon Probleme mit seiner Körperbeherrschung hatte.

Sothorn: He …!

Geryim: Sagen wir einfach, dass ich genau wusste, warum ich nicht mit ihm in den Nahkampf gegangen bin.

Wir durften ein ums andere Mal mit ansehen, dass Sothorn dich manchmal zur Weißglut treibt. Gibt es Eigenschaften an ihm, die dir besonders gegen den Strich gehen und wenn ja, welche sind das? (DieSchännieh)

Geryim: Seine verflixte Gelassenheit. Die wird immer schlimmer, seitdem wir aus der Adelijar-Festung ausgezogen sind. Ehrlich gesagt: Es ist der pure Neid! Wenn sich mir das Fell sträubt und ich nicht einmal weiß, wieso, und ich ihn anschreie, schaut er mich vollkommen gelassen an. Dann möchte ich ihn windelweich schlagen. Und dass er nicht lockerlässt, ist fast genauso anstrengend. Wenn er etwas von dir will, wartet er einfach, bis er es bekommt. Er belauert einen geradezu. Und das Schlimme ist, dass ich dem Mistkerl jedes Mal nachgebe!

Gwanja hat sich an Sothorn gebunden, was aufgrund deiner Herkunft so ziemlich alles zwischen euch einfacher macht. Sie hat dir einen Gefallen getan, hast du gesagt. Doch gib’s zu, du bist auch ein bisschen eifersüchtig, dass sie nicht deine Gefährtin ist, oder? (DieSchännieh)

Geryim: Eifersucht ist nicht das richtige Wort. Ich war im ersten Moment sehr enttäuscht, allerdings auch erleichtert. Es ist schwer, seine Seele mit zwei Tieren zu teilen. Besonders, wenn es zwei so mächtige Tiere sind wie der Blauschwanzadler und der Brandlöwe. Beide sind Kreaturen, die sich nach dem Glauben meines Volks nur mit besonderen Menschen verbinden. Es wäre wahrscheinlich schlimmer gewesen, wenn ich nicht Syv, sondern ein niedriges Gefährtentier gehabt hätte. Eine Schildkröte oder ein Reh zum Beispiel. Aber er hat mich schon über andere Wargssolja erhoben. Auch noch Gwanja zu erlangen, wäre wohl zu viel des Guten gewesen.

Und Sothorn verdient sie. Ich hätte sie keinem anderen gegönnt als ihm.

Gäbe es ein prominentes Paar über das du dir vorstellen könntest eine (erfundene oder ggf. biografische) Geschichte zu schreiben? (Babsi)

Wenn ich die Erlaubnis eines prominenten Paares hätte, über es zu schreiben, könnte ich mir das theoretisch zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen. Allerdings setzt das eine ganz enge Zusammenarbeit mit diesem Paar voraus. Blind eine Geschichte erzählen und mir die Hälfte aus den Fingern saugen … das käme für mich nicht infrage. Achso, bei einem historischen Paar wäre es natürlich etwas anders.

Erfundene Geschichten über Prominente sind für mich ein No-Go. Ich weiß, dass das keine sehr populäre Meinung ist. Aber ich tue mich mit Real Person Slash sehr, sehr schwer. Für mich überschreitet das eine Grenze, die ich nicht berühren will. Da muss ich also mit einem klaren Nein antworten.

Hast du selbst ein Lieblingspairing entweder bei deinen Protas oder bei einem deiner Kollegen/innen? (Babsi)

Meine sind alle meine Lieblinge. Ich mag sie alle auf ihre Weise, mehr als das sogar. Das bedeutet nicht, dass ich sie nicht auch manchmal an die Wand klatschen möchte. Aber ich liebe sie alle gleich, wenn auch nicht an jedem Tag. 😉

Bei den Kollegen gibt es ganz viele, die ich grandios finde. Riordan und English von Josh Lanyon, Alec und Seregil von Lynn Flewelling, Darius und Lysander von Justin C. Skylark, natürlich Forlán und Iain von Dewi … Die Liste ist sehr lang, denke ich.

An Ragnar und Aiden: Gibt es etwas, was ihr in eurer Geschichte gerne anders erzählt hättet, oder im Nachhinein gerne anders erlebt hättet? (Babsi)

Aiden (ganz trocken): So ziemlich alles. Natürlich sagt man immer, dass das Leben, das man geführt hat, den Charakter bildet. Aber ehrlich, ich hätte sowohl auf meine Kindheit als auch auf manches andere gern verzichten können.

Ragnar: Auf viele Streitereien zum Beispiel. Auf böse Worte, die man gewechselt hat. Auf Reaktionen, für die man sich heute schämt.

Aiden: Ganz genau. Einfach Dinge, die einem das Leben schwer gemacht haben, statt es heller und besser zu machen. Ich wünsche mir immer noch, dass ich mich nicht manchmal ein bisschen mehr zusammengerissen hätte, um Takir nicht zu verärgern.

Ragnar: Und ich wünschte, ich hätte mir anfangs mehr Mühe gegeben, auf Aiden einzugehen. Dass ich ehrlicher zu ihm gewesen wäre. Es wäre alles leichter gewesen, wenn ich gleich am Anfang gesagt hätte, dass ich mich ziemlich allein fühle und neben einem Lustdiener auch einen Freund und Gefährten brauche. Jemandem zum Reden.

Aiden (rollt mit den Augen): Oh ja. Das hätte geholfen. Und wenn ich eher meinen Gefühlen nachgegeben hätte, wäre uns auch manches erspart geblieben.

Beide schaudern. „Oh ja …“

Wie sehr macht Ragnar sich noch Gedanken über seine Eltern und speziell über seine Mutter? (Babsi)

Ragnar: Das kommt darauf an. Unser neues Leben ist ganz schön anstrengend. Wenn man harte, körperliche Arbeit macht, zerbricht man sich nicht so oft den Kopf. Aber in den Ruhepausen denke ich oft an sie. Ich ärgere mich, dass ich nicht genauer hingesehen habe, was da eigentlich läuft. Und ich frage mich oft, ob bestimmte Dinge wirklich eingetreten wären. Oder ob es einen Weg gegeben hat, den Kurs von meinem Vater aufzuhalten. Und meine Mutter … ja, es ist die Hölle. Ich wünschte, ich hätte ihr noch einmal sagen können, was mir ihr Opfer bedeutet hat. Gott, ich hoffe jedenfalls, dass sie noch lebt und dass Takir sie anständig behandelt.


Jetzt will ich euch nicht länge auf die Folter spannen – hier die Gewinner der Bücher:

Zenjanischer Lotus - Cover groß

3. Platz: Mana

Anno Domini Cover web
2. Platz: Sarah Natusch

zerrspiegel

1. Platz: Barbara Corsten

Raik und ich gratulieren allen Gewinnern und wünschen ihnen viel Spaß mit den Büchern. Alle Gewinner melden sich bitte bei mir mit Angabe ihrer Adresse und Signierwunsch (Raik wird die Bücher für euch signieren), damit die Bücher bald auf den Weg geschickt werden können.

Alle anderen bekommen demnächst eine neue Chance – die nächste Special Week wird sich Florian Tietgen und seinen Büchern widmen – geplant Ende Mai. Stay tunded 🙂

Vielen Dank an alle Teilnehmer, Raik Thorstad für ihre Geduld und dem Cursed Verlag und dem Incubus Verlag für die Bereitstellung der Gewinne 🙂

[INTERVIEW] Raik Thorstad

Die Special Week nähert sich leider schon ihrem Ende, aber ein letztes Bonbon haben wir noch für euch – das Interview mit Raik Thorstad. Ich kann schon jetzt sagen, dass es ein tolles Interview war, denn Raik hat sehr ausführliche und spannende Antworten gegeben. Wer nun neugierig geworden ist und mehr über Raik und ihre Romane erfahren will, wirft am besten einen Blick auf ihren Blog:

http://raikthorstad.blogspot.de/

Bitte erzähl uns ein wenig mehr von dir. Was machst du in deiner Freizeit?
Also gleich ins Eingemachte. 😉
So viel Spannendes gibt es da gar nicht zu erzählen. Ich bin Jahrgang 1980, wurde in Osnabrück geboren, bin aber in der Kleinstadt Bramsche „nebenan“ in der klassischen Familie aufgewachsen. Vater, Mutter, Schwester, Katzen, Hund und ich. Ich habe als Kind und Jugendliche sehr viel Zeit am Meer verbracht bei meiner Patentante, weswegen ich alles zwischen Bramsche und der Nordseeküste heute als „Zuhause“ ansehe.
Im Moment lebe ich mit meinem Mann und unseren Haustieren in Dortmund. Das ändern wir hoffentlich sehr bald. Dann geht’s aufs Land, da wir doch inzwischen irgendwie alt werden und die Ruhe suchen. (Ruhe, die eben nur von der eigenen Stereoanlage gestört wird. *pfeif*)
Das bringt mich auch gleich zu deiner Frage nach der Freizeit. Erst einmal gibt es davon nicht mehr wirklich viel. Die, die ich noch habe, versuche ich im Freien zu verbringen. Wir ziehen seit einer Weile zum Beispiel gern mit den Hunden raus in den Wald geocachen. Ansonsten fotografiere ich sehr gern, besonders, wenn es um historische Gebäude geht. Der große Sportler bin ich nicht, aber Radfahren und Joggen muss auch manchmal sein. Und dann hänge ich natürlich wie vermutlich viele Autoren viel zu viel im Internet. Dass ich ein alter Zocker und Rollenspieler bin, hilft da auch nicht gerade, und meine Liebe zu TV-Serien wie zum Beispiel Farscape zementiert dann den Couch-Potatoe-Status.

Oh, und gelesen wird natürlich auch richtig viel. Glücklicherweise ist mein Mann auch eine Leseratte, sodass es hier keinen Rosenkrieg gibt, wenn ich shoppen gehe.

Wann hast du mit dem Schreiben begonnen? Gab es einen Auslöser, der dich zum Schreiben brachte?
Ich schätze, da geht es mir wie den meisten: Ich habe schon immer geschrieben. Sobald ich alle Buchstaben kannte, hatte ich auch mein erstes Schreibheft. Sehr zur Freude meiner Umwelt übrigens. Ich habe dadurch weniger geredet.
Allerdings habe ich zwischendurch sehr lange Pausen eingelegt. Das Schreiben war immer nur eines von zwei kreativen Hobbys für mich. Und anfangs hatte ich mich beruflich und privat eher der Musik verschrieben. Das hat sich erst geändert, als ich 2007 Probleme mit meiner linken Hand bekam und dadurch nicht nur arbeitsunfähig wurde, sondern auch meine Instrumente einsargen konnte. In der Rekonvaleszenz ist mir dann so die Decke auf den Kopf gefallen, dass ich teilweise auf einmal 10 oder 12 Stunden am Tag geschrieben habe.
Man könnte also sagen, das eine Fenster hat sich geschlossen, dafür ging eine Tür auf. Und das ist im Nachhinein eigentlich eine gute Sache, denn Bühnen und ich, das war noch nie eine große Liebe.

Hast du schon damals beschlossen, homoerotische Literatur zu verfassen oder gingen deine Anfangstexte in eine andere Richtung?
Nein, ganz am Anfang habe ich halt Kindergeschichten geschrieben. Igelgedichte und Märchen von Tom, dem Wattwurm. Alles schön immer angelehnt an meinen damaligen Lesestoff. Auf was man als kleine Kröte eben so kommt.
In meiner Jugend habe ich mich in erster Linie an Fantasy und Horror-Geschichten versucht, die gar keinen Beziehungsanteil hatten. Das Schwarze Auge war da ein großer Trigger. Die homoerotische Literatur kam dann etwas später. Ich habe damals nicht wirklich verstanden, warum ich in diese Richtung gegangen bin, und habe die Sachen für mich gehalten. Leider habe ich auch mal einen großen Schwung in den Mülleimer befördert. Darüber könnte ich mir heute noch die Haare raufen.

Wie viel Zeit brauchst du, um ein Buch zu schreiben? Gibt es irgendwelche festen Prozeduren, wenn du schreibst, oder ist das bei jedem Buch anders?
Das lässt sich nicht sagen, zumal das für mich auch sehr von der Lebenssituation abhängt. „Lebenssituation“ steht hier übrigens charmant auch für „Laune“. 😉 „Leben im Käfig“ habe ich damals in einem halben Jahr geschrieben. An einem anderen Projekt sitze ich seit über sechs Jahren. Dass ich auch noch die Unart habe, in tausend Pötten gleichzeitig zu rühren, macht Vorhersagen ziemlich unmöglich.
Auch habe ich festgestellt, dass ich jedes Buch anders angehe. Dazu muss man aber auch einfach sagen, dass fast alle Bücher, die bisher von mir erschienen sind, nie für eine Veröffentlichung angedacht waren, als ich damit angefangen habe. „Zerrspiegel“ ist die einzige Ausnahme. Würde ich heute ein neues Projekt anfangen, würde ich sicher anders vorgehen als damals. Weniger chaotisch. Hoffentlich jedenfalls …

Was sind Deine aktuellen Projekte? Auf was können sich die Fans als Nächstes freuen?
Ui, das sind einige. Siehe die Unart, alles auf einmal zu machen.
Erst einmal schreibe ich schon sehr lange an meinem Buch aus der Antike namens „Das Würfelspiel der Götter“. Das spielt ab Jahr 9 nach Christi Geburt und ist sehr, sehr aufwendig in der Recherche. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich das alles umgeschrieben habe. Das möchte ich gern veröffentlichen, wenn es fertig ist.
Dann soll „Zenjanischer Lotus“ zwei Nachfolger bekommen. Wer es gelesen hat, hat ja vielleicht gemerkt, dass viele Probleme und Fragestellungen noch nicht abgearbeitet wurden. Ein paar Kapitel und das ganze „Gerüst“ stehen, ansonsten Kartenmaterial und Co. Mehr leider noch nicht.

Außerdem arbeite ich an einer Geschichte namens „Opiumschwaden“. Ein Krimi, der um 1832 in England spielt und den ich immer meinen „Testballon“ nenne. Ich habe nämlich keine Ahnung, ob das am Ende alles passt. Ob und wann ich OS veröffentliche, keine Ahnung. Dafür muss ich erst mal sehen, was die Leser mir nach der Auflösung rückmelden. Kann ja schließlich sein, dass das Ding am Ende wie eine Seifenblase in sich zusammenfällt. Dann lasse ich es lieber in der Schublade bzw. online zur freien Verfügung.
Und dann sind da noch ein höchst geheimes Geheimprojekt, über das ich noch nichts erzählen kann, eine Mittelalter-Romanze in England im 14. Jahrhundert und noch ungefähr 5 Projektideen, wo nur die Skripte und die Anfänge existieren.
Du siehst: Genug zu schreiben ist da. Frag sich nur, wo ich anfange …

In den meisten deiner Bücher geht es “heiß” zur Sache. Wie gehst du beim Schreiben erotischer Szenen vor bzw. wie informierst du dich darüber?
*lach* Das ist ja mal eine Frage. Erst einmal würde ich sagen, dass man als erwachsener Mensch ja durchaus seine Erfahrungen hat. Und da ich eine neugierige Nase bin, lässt sich vieles auch einfach ausprobieren. Das ist also jetzt nichts, wo ich mit der Lupe in der Bibliothek sitze und mit dem Winkelmesser versuche herauszufinden, in welchem Winkel sich zwei Männer übereinander tummeln können. Allerdings habe ich das große Glück, dass mein Lektor mir da auch hilfreich zur Seite steht bzw. mir auf die Finger haut, wenn etwas nicht passt.
Allgemein ist es so, dass erotische Szenen immer ein Thema für sich sind. Ich empfinde sie als relativ anstrengend beim Schreiben, weil man sich immer bemüht, Sex gut darzustellen, aber eigentlich nur daran scheitern kann, weil das Empfinden für Erotik sehr unterschiedlich ist. Was für den einen hocherotisch, ist für den nächsten Testleser schon porn und für wieder den nächsten tödlich langweiliger Blümchen-Sex.
Letztendlich versuche ich immer, mich auf die Sache bzw. die jeweilige Szene einzulassen und mich hineinzufühlen. Ich verschwinde quasi von der Bildfläche und wechsle den Platz mit dem Charakter, aus dessen Perspektive gerade geschrieben wird. Das ist allerdings kein Merkmal von Sex-Szenen, sondern betrifft auch den Rest des Materials.

Du bist in vielen Genres zu Hause – Fantasy, Drama, Sci-Fi. Welches reizt dich am meisten und wieso?
Ich gebe keinem Genre dem Vorzug. Das könnte ich gar nicht. Bei mir ist das Schreiben genauso von gewissen Stimmungen abhängig wie das Lesen. Es gibt Phasen, in denen ich nur Fantasy lese oder nur historische Romane. Oder neuerdings Krimis. (Das glaub ich selbst immer noch nicht so richtig.) Und genauso geht’s mir beim Schreiben. Jedes Genre hat seine Faszination. Historische Sachen finde ich total toll, weil man bei der Recherche auf so spannende Sachen stößt. Fantasy hat wieder den Reiz, das man die Geschichte der Welt selbst entwickelt. Contemporary ist einem sehr nah und öffnet viele Möglichkeiten, Denkanstöße zu geben. Endzeit ist dann wieder mit etwas Horror vor der Zukunft verbunden.
Letztendlich kann ich nur sagen: Ich schreibe in den Genres, in denen ich lese. Welche immer das auch gerade sind.

Mit welchem deiner Bücher verbindest du etwas Besonderes?
Schulligung, das gibt schon wieder eine so langweilige Antwort: mit allen. 😉 Es gibt kein Buch, das mir nicht auf die eine oder andere Weise persönlich nah ist. Jedes hat seine Geschichte und seine Begleiter, Menschen, die ich über das Buch kennengelernt habe, Erlebnisse, die darin verarbeitet worden sind. Charaktere, die mir besonders am Herzen liegen. Ich glaube, das musst du mich in ein paar Jahren noch einmal fragen, wenn ich ein bisschen mehr Abstand zu den einzelnen Büchern habe.

(c) Nica Léon (https://www.facebook.com/Pandaelion)

In der Duologie um Andreas und Sascha („Leben im Käfig“ und „Nach er Hölle links“) greifst du auf eigene Erfahrungen zurück. War es für dich schwer diese beiden Bücher zu schreiben?
Größtenteils nicht. Wie du schon sagst, liegen den Büchern zwar meine eigenen Erfahrungen zugrunde. Allerdings sind das Ereignisse, die eine Weile zurückliegen und/oder mit denen ich Frieden geschlossen habe. Klar, ein paar Darstellungen waren relativ „close to home“, da musste ich ein bisschen aufpassen, dass ich nicht selbst mit Andreas „mitpumpe“, wenn er die Nerven verliert. Alles in allem glaube ich sogar, dass es mir gutgetan hat, mir diesen Weg noch einmal vor Augen zu führen. Ich bin ein Mensch, der relativ hohe Erwartungen an sich hat. Da ist es ganz gut, wenn man sich mal umschaut und feststellt, was man schon geschafft hat.
Viel schwerer war es zu entscheiden, ob ich die Bücher richtig veröffentlichen will. Denn das war auf einmal eine ganz andere Größenordnung. Ich habe mich gefragt, ob Fremde das Buch lesen und mich darin wiedererkennen würden. Und wenn ja, ob es mir etwas ausmachen würde. Wie man sieht, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass es mir nichts ausmacht oder wenigstens nicht genug, um es zu lassen.

Wie stark war dein Wunsch, die Leser über die Krankheit Agoraphobie aufzuklären?
Hmm, aufklären. Wie drücke ich das jetzt aus, ohne das Interview platzmäßig zu sprengen? Erst einmal ging es mir nicht in erster Linie um Agoraphobie. Das ist nur eine von vielen Angststörungen, die leider oft auch wieder miteinander verzahnen. Und Angststörungen sind wieder nur ein kleiner Teil aller psychischen Erkrankungen. Mir ging es eher darum, das ganze Feld ein bisschen an den Leser heranzubringen. Der Sache das Fremdartige zu nehmen.

Als ich 1992 an Agoraphobie erkrankt bin, haben das nicht nur die Ärzte jahrelang nicht geschnallt, sondern meine Umwelt konnte auch nicht damit umgehen. Und das ist in so einer beschissenen Lage – pardon my french – einfach noch das Tüpfelchen auf dem I. Denn ich selbst wollte es ja auch nicht wahrhaben. Man akzeptiert viel leichter die Diagnose, dass man Reizmagen hat, als die Ansage: „Sie sind psychisch krank.“
Insofern ging es bei den Büchern für mich um zwei Sachen: Einmal wollte ich gesunde Menschen sensibilisieren und ihnen einen Einblick geben, womit ihr/e kranke/r/s Kind, Vater, Mutter, Nachbar, Mitschüler, Freund, Partner zu kämpfen hat. Denn das ist wirklich schwer nachzuvollziehen, wenn man es nie erlebt hat. Betroffene können meistens ihre Nöte auch gar nicht in Worte fassen. Daher wollte ich an der Stelle eine Tür aufmachen.
Und dann wollte ich auch einfach den Leuten, die betroffen sind, Mut machen. Der erste Band handelt ja komplett von dem Weg, überhaupt anzuerkennen, dass man aktiv werden muss. Das war mir sehr wichtig. Denn man hört so oft so Sprüche wie „Geh doch zum Therapeuten und dann wird das schon.“ Nein, das stimmt nicht. Überhaupt diese erste Hürde zu überwinden, ist schon schwere Arbeit. Und das wollte ich bei Andreas zeigen.
Viele Leserbriefe haben mir gezeigt, dass das auch hier und da funktioniert hat. Und das ist ein irres Geschenk für mich als Autor.

Hattest du gegen ähnliche Barrieren zu kämpfen wie Andreas?
Ja, im Grunde dieselben. Nur ist bei mir etwas früher eingegriffen worden. Das heißt, ich war nie soweit, dass ich nicht mehr mit meinem Hund ins Freie gehen konnte. Aber alles andere habe ich genauso hinter mir. Kino, Supermarkt, Restaurants, Flugzeuge, Busse, Konzerte, Schule, das ging alles nur unter immensen Kraftanstrengungen. Und die Kraft hat auch oft nicht gereicht. Das hat irgendwann für mich auch zum Schulabbruch geführt. Nach ein paar Jahren fiel meine Nichtanwesenheit dann doch mal auf. *hust*

(c) Jacqueline Krause

„Zerrspiegel“ ist neben deiner Duologie dein einzig realistisches Projekt. Wie kamst du auf die Idee, dieses Buch zu schreiben?
Das ist mal eine längere Geschichte, aber eine, die ich echt gern mal erzähle. Danke an dieser Stelle für diese Frage.
Wer bis hierhin mitgelesen hat, hat ja mitbekommen, dass ich früher Musiker war und auch in dem Bereich gearbeitet habe. Und dass ich mich davon verabschieden musste. Insofern ist „Zerrspiegel“ mein Abschied an meine Musikerzeit. Ich sollte es vielleicht nicht sagen, aber die E-Gitarre, die Steve am Ende zerschlägt, ist zum Beispiel meine eigene, auch wenn die noch heile an der Wand hängt. (War das jetztein Spoiler? Huch. Gehen Sie weiter, gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.)
Der andere Grund ist aber wahrscheinlich der wichtigere: Ich habe als Kind eine relativ fiese Sache erlebt, die mich sehr früh geprägt und misstrauisch gegenüber den Klatschmedien gemacht hat.
Um das kurz zu erzählen: In meinem Dunstkreis ist ein kleines Mädchen ermordet worden. Mit der Kleinen hatte ich gespielt und ich wusste auch, an welcher Stelle es passiert ist. Das war das erste Mal, das ich Gewalt so „nah“ gekommen bin. Es fühlte sich wenigstens so an. Die Sache ging damals groß durch die Medien, und es hatte im Vorfeld der Beerdigung immer wieder Vorfälle mit Paparazzi und aufdringlichen Reportern gegeben. Und als der Sarg der Kleinen in der Kirche aufgebahrt worden war, haben Mitarbeiter eines nicht näher genannten Fernsehsenders dann die Kirchentür aufgebrochen, um den Sarg filmen zu können. Die Trauerfeier wurde auch gestört, um schön die trauende Familie im Blick zu haben. Es war widerlich.
Ich war selbst noch klein, aber ich fand das so furchtbar, so menschenunwürdig, dass es sich bei mir eingebrannt hat.
Wenn man sich heute mal die Biographien von großen und auch kleinen Stars anschaut, sieht man halt, vor wie wenig noch haltgemacht wird. Wie gnadenlos die Klatschpresse ist. (Auf die bezieht sich ja der Roman, nicht auf die seriösen Medien.)
Ein gutes Beispiel ist da Gaby Köster, die nach ihrem Schlaganfall regelrecht verfolgt wurde. Sie und auch ihre Kinder. Wenn man sich mal überlegt, dass sie ein regionaler Star ist und kein internationaler, kann man sich ausrechnen, wie das bei einer Whitney Houston oder eine Amy Whinehouse zugegangen sein muss.
Lange Rede: Ich wollte mal die Perspektive von den Reportern wegnehmen, die immer schön medienwirksam berichten, dass da ein armer, armer Fotograf ganz grundlos eins auf die Mappe bekommen hat, und zeigen, warum so etwas wohl passiert. Und in einem Fall hat mir eine Leserin auch rückgemeldet, dass sie seitdem doch etwas kritischer über gewisse Medien nachdenkt. Das fand ich großartig.

Im Gegensatz zu deinen anderen Romanen entstand „Zerrspiegel“ in enger Zusammenarbeit mit dem Cursed Verlag und wurde vorab nicht auf fanfiction.de veröffentlicht. Wie stark unterscheidet sich der Entstehungsprozess des Romans von deinen anderen?
Das sind ganze Welten. Zumal bei „Zerrspiegel“ ja nicht nur der Entstehungsprozess anders war, sondern auch die Motivation. Bei den anderen Büchern habe ich mir gesagt: „Super, ich hab nix zu tun. Ich erzähl mal eine Geschichte. Und die Leute auf FF.de lesen mit. Das macht Spaß.“ Nachdem Julia Schwenk von Cursed mich angesprochen hatte, hieß es aber auf einmal: „Huch, jetzt bin ich unter Vertrag. Jetzt muss ich liefern, wenn ich kein Sauhund sein will.“ Das war schon eine extreme Umstellung und hat mir auch zwischendurch Schwierigkeiten gemacht.
Die Ideenentstehung selbst ist das gar nicht unterschiedlich gewesen. Ich bin zu Julia hin, habe gesagt: „Ich habe hier das und das, unter dem und dem Arbeitstitel, kannst du dir das vorstellen?“ Und sie konnte. 🙂
Alles in allem denke ich, dass es ungefähr fünfzig Wege gibt, wie ein Buch entstehen kann und dass ich bisher nur drei oder vier davon erprobt habe. Insofern würde ich mich jetzt nicht unbedingt als Fachmann für Entstehungsprozesse verstehen.

Welches Vorgehen ist dir persönlich lieber – Schreiben mit deinem Lektor zusammen oder mit Hilfe von Leserfeedback?
Es hat beides seine Vorteile. Mit dem Lektor und niemandem anders zu arbeiten, ist insofern toll, weil man sofort professionelle Hilfe hat, wenn man ins Straucheln kommt. Dadurch ist dann auch das Lektorat am Ende weniger aufwendig.
Das Leserfeedback dagegen ist ein Wahnsinnsantrieb. Das darf man nicht unterschätzen. Ich glaube auch, dass mir diese Variante am Ende ein bisschen lieber ist.
Am schönsten ist es übrigens, wenn der Lektor UND die Testleser schon von Anfang an mitlesen. 😉

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(c) Cenyn (https://www.facebook.com/cenyn)

Wie hast du dich über das Musikbusiness informiert, um Steffens Geschichte zu schreiben?
Home sweet home. Ich habe lange in der Branche gearbeitet, selbst auf etlichen Bühnen gestanden – immer schön grün im Gesicht natürlich – und an Produktionen in mehreren Bereichen mitgearbeitet. Dazu kenne ich etliche Musiker, die in professionellen oder auch semi-professionellen Bands spielen.Das nächste ist, dass gerade in einer etwas kleineren und engeren Szene, die nicht unbedingt dafür bekannt ist, ein Blatt für den Mund zu nehmen, auch immer wieder Interna raussickern und bekannt wird, welche Plattenfirmen welche Spielchen spielen.
Wobei man natürlich ganz klar sagen muss: Das Beispiel in „Zerrspiegel“ steht nicht für alle Plattenfirmen. Die meisten machen grandiose Jobs. Besonders die, die eben nicht nur nach den Chartsplatzierungen geiern, sondern ihrem Genre und damit ihrer Leidenschaft treu sind. Steves Erfahrungen sind einfach richtig schlechte.

„Zenjanischer Lotus“ soll ja mit zwei weiteren Büchern fortgesetzt werden. Kannst du schon mal Ausblicke geben, welche Themen du innerhalb deiner Fantasy-Trilogie noch behandeln möchtest.
Klar, gern doch.
Wer den ersten Band gelesen hat, weiß ja, dass die beiden Hauptcharaktere am Ende zusammengefunden haben, aber dass die Bruderschaft einen hohen Preis zahlen musste.
Ab dem zweiten Band wird es neue Perspektiven im Erzählen geben. So wird man mehr über Geryim und auch andere Charaktere erfahren. An dieser Stelle wird auch ein neuer Charakter eingeführt, den die Leser hoffentlich mögen werden. Ich mag Thalid, meine paddelige Magierin, jedenfalls. 😉
Inhaltlich kann ich die Bände nicht ganz trennen, weil es ineinander greift. Aber einmal geht es darum, warum Sothorn die besondere Verbindung zu Feuer hat, was es mit den Statuen in der zerstörten Festung auf sich hat, wie die Bruderschaft sich mit ihrer zunehmenden Menschlichkeit entwickeln kann, warum Geryim so launisch ist und natürlich auch besonders, wie zwei so sture, stolze und gleichzeitig durch den Lotus kranke Männer sich miteinander arrangieren können. Jeder der beiden wird mindestens einmal in üble Schwierigkeiten geraten, Szaprey hat einen großen Auftritt, es gibt ein paar Enttäuschungen, aber auch neue Hoffnung. Wir werden das Volk der Wargssolja besser kennenlernen, schon weil Geryim als Perspektive neu auftaucht. Ja, und von Sunda gibt es dieses Mal auch eine ganze Ecke mehr zu sehen. Bisher hatten wir ja nur Stichproben, weil die Phase in Balfere kurz ist und die Jungs danach meistens in den Bergen herumhängen.

Wie kommt die Komplexität Deiner Welten (z.B. in „Zenjanischer Lotus“ und „Anno Domini“) zustande?
Danke für die Blumen erst einmal. 🙂 Dabei hat man in Lotus wirklich noch fast gar nichts von der Welt gesehen, wie ich oben schon andeutete.
Du kennst es bestimmt selbst, Juliane. Stichwort: Rollenspieler. Ich glaube wirklich, dass die guten alten Pen & Paper-Rollenspiele ganz viel damit zu tun haben, wie man so eine Welt aufbaut und sie sich vorstellt. Wenn man selbst einen großen Teil seiner Jugend bis zu den Ohren in Regelbüchern verbracht hat, laut denen man auswürfeln kann, welche Pflanze ein Kräutersammler bei welchem Wurf findet, geht es einem in Fleisch und Blut über, dass die eigene Welt natürlich auch eine eigene Flora und Faunabraucht. Von Göttern, Handwerk, Regierungssystemen, Ständen und einer Geschichte ganz zu schweigen. Das macht unglaublichen Spaß. Leider bin ich eine totale Null im Zeichnen. Sonst hätte ich euch längst mal Gebäudeskizzen und anständige Karten vorgelegt.
Bei „Anno Domini“ war es eher ein Weiterdenken unserer Geschichte als eigener Weltenbau. Was könnte überlebt haben, habe ich mich gefragt? Was könnte zurückgekommen sein? Welche Entwicklungsfort- oder auch rückschritte könnte eine Zivilisation machen? Und was wird im Lauf der Geschichte weichgespült oder falsch übertragen worden sein?
Ein wichtiger Faktor an dieser Stelle ist übrigens mein Mann, der es tapfer erträgt, wenn ich ihn mit Storyverläufen vollquatsche. Durch das laute Aussprechen kommen mir oft zusätzliche Details für die Welten in den Sinn.

„Anno Domini“ ähnelt der ägyptischen Kultur. Hast du dich davon beeinflussen lassen oder entstand das alles frei?
Okay, jetzt hast du mich erwischt. Denn an die ägyptische Kultur habe ich gar nicht gedacht. Aber wenn ich so darüber nachdenke, hat es vielleicht etwas davon. Der Herr Pharao als Quasigottheit.
Frei war ich auf gar keinen Fall. Ich habe mich da im Mittelalter angelehnt. Leibeigenschaft war da ein Thema. Aber auch vor allen Dingen die vielen merkwürdigen Könige, die über die Jahrhunderte auf den Thronen gelandet sind. Die meisten hatten überhaupt keinen Zugang zu ihrem Volk. Ich glaube, es war einer der Henrys von England – ich verwechsle die dauernd -, der sich damals die „Frechheit“ erlaubt hat, sich unter seine Untertanen zu mischen und mal zu hören, was die so über ihn zu sagen haben. Die Thronfolger sind in diesen Zeiten ganz isoliert und weltfremd aufgewachsen. Sie wussten überhaupt nicht, wen sie regieren und in was für Zuständen die Leute leben. Und so hat sich das natürlich auch Generation für Generation fortgesetzt. Die Könige hatten ihren Kopf in den Wolken und haben nicht mal gemerkt, wen sie nach unten getreten haben.
Klar, sie hatten auch zu viel damit zu tun, sich mit dem Adel, dem Klerus und der eigenen Verwandtschaft herumzuprügeln. Das war die Basis für Anno.

Wie kamst du auf die Idee von „Anno Domini“ und auf die Charaktere Ragnar und Aiden?
Das habe ich vermutlich oben schon teilweise beantwortet. Besonders was Ragnars Geschichte angeht. Ich wollte diesen starken Kontrast zwischen einem Mann, bei dem es nur ums Überleben und vielleicht die Restwürde geht, und dem anderen, der eigentlich in einem Elfenbeinturm lebt und es nicht einmal merkt. Jemand, der letztendlich sozial total verkümmert ist. Wie ein Welpe, der nie mit anderen Hunden spielen durfte.
Dann hat mich die Vorstellung der Körpermanipulation sehr fasziniert. Einmal natürlich Aidens Job als Liebesdiener, der über den Chip in seinem Gehirn gesteuert werden kann, aber eben auch die Frage, wie weit Menschen irgendwann gehen werden, um sich selbst zu pimpen. Thema Langlebigkeit und Co.

Wer ist dein Lieblingscharakter?
Heute? Oder allgemein? *lach* Das ist jetzt ein bisschen, als würdest du eine Mutter fragen, wer ihr Lieblingskind ist. Gerade bei den Hauptcharakteren ist das fast unmöglich. Aber ich würde mal sagen, dass Geryim schon sehr speziell für mich ist, wenn ich wirklich einen aussuchen muss. Und Kjell. Und Andreas. Und Ragnar. Und der noch namenlose junge Mann aus dem Geheimprojekt. Und … (Erkennt man mein Dilemma?)

(c) Shari Bogardt

Gibt es zu Deinen Charakteren lebende Vorbilder?
Bei den Hauptcharakteren gar nicht. Da gibt es höchstens mal eine Art optische Anleihe. Aber niemals von Prominenten, sondern eher von ehemaligen Mitschülern, wo man sich an irgendein nettes Detail erinnert. Bei den Nebenfiguren gibt es Anlehnungen. Allerdings achte ich sehr darauf, dass sich nur die netten Jungs und Mädels Vorbilder in der Realität suchen. So gibt es in „Leben im Käfig“ einen Lehrer, der meinem alten Lateinlehrer sehr ähnelt. Großartiger Mensch und Pauker. Den wollte ich gern verewigen.

Hast Du als Autorin Vorbilder? Was inspiriert Dich?
Vorbilder ist jetzt falsch gesagt. Aber es gibt wahnsinnig viele Bücher, die ich
liebe und die mich sicher auch inspirieren. Ich würde allgemein sagen, dass ich mein Herz eher an Bücher oder bestimmte Reihen hänge als an die Autoren dahinter. Die Liste wäre jetzt sehr lang, aber so Sachen wie „Der Krieg der Schwerter“ oder Rebecca Gablès Helmsby-Romane wären sicher dabei. Auf der anderen Seite Lynn Flewelling, die in den Neunzigern ganz selbstverständlich ein schwules Paar in die Fantasy gebracht hat. Dann bin ich riesiger Fan der Bücher von Walter Moers und Terry Pratchett, schon wegen des enormen Ideensacks, den die beiden zu haben scheinen. Wenn ich zum Beispiel Moers lese, habe ich hinterher immer das Gefühl, dass ich von dieser irren Fantasie infiziert worden bin.
Ansonsten: historische Stätten und Museen und immer wieder das Meer. Wobei das auch daran liegt, dass ich mich einfach an der Küste sauwohl fühle und dort gut runterkommen kann. Es ist einfach unglaublich schwer, sich in fremde Welten zu versetzen, wenn die Nachbarstochter in voller Lautstärke Humpta-Mucke hört, alle drei Minuten das Telefon klingelt, der Hund in den Flur kotzt und man heimlich darauf wartet, dass es „Plopp“ macht und die Bügelwäsche aus dem Wohnzimmer quillt.

Wie stehen Dein Mann und Deine Familie zu Deinen Büchern?
Das müsste man sie vielleicht selbst fragen. Mir können sie ja viel erzählen. 😉
Ich denke, sie sind relativ stolz auf mich. Mein Bildungsweg ist ja wie oben erwähnt abgebrochen worden, und da gab es sicher auch Sorgen, wohin mein Weg mich mal führen wird. Auf jeden Fall wissensie, dass ich schreibe, sie wissen auch alle, was ich schreibe und bisher hat sich keiner darüber mokiert.
Meine Mutter versucht übrigens tapfer, jedes Buch von mir auch wirklich zu lesen. Und das kostet sie echt einiges, denn mit Fantasy und Sci-Fi kann man sie jagen.
Und mein Mann hat seit jeher immer alles gelesen, was ich geschrieben habe. Der kennt noch ganz andere Stilblüten von mir. *g*

Hast Du auch vor, “lesbische” Romane zu schreiben oder dich irgendwann einmal gänzlich anderen Genres zuzuwenden?
Bevor ich das beantworte, möchte ich anmerken, dass ich gleich einen Krampf in der Hand habe. Was für ein Fragenkatalog! Puh.
Wo waren wir? Lesbische Romane. Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Der Grund ist, dass ich mich in Frauen genau gar nicht einfinden kann und es sehr schwer finde, gute weibliche Charaktere zu entwerfen. Es ist mir einfach – trotz weiblicher Anatomie – fern. Zu den anderen Genres sollte man nie nie sagen. Ich meine, es gibt ja eh einen Unterschied zwischen dem, was ich veröffentliche, und dem, was ich sonst noch schreibe. Und ich möchte mir auch einfach die Option offenlassen, dass ich in 10 Jahren etwas ganz anderes machen mag.

Wie tief geht Deine Recherche zu Deinen Büchern?
Hm, ich kann da schlecht eine Messlatte anlegen. Ich weiß ja nicht, wie intensiv sie bei anderen ist. Aber ich sammele schon über Jahre Material, gerade bei den historischen Sachen. Ich war auf etlichen römischen Ausgrabungen, haben die Leute da gelöchert, dasselbe in Westengland, wo ich mich auch mit vielen Leuten in den Museen und Kirchen unterhalten habe, die von der englischen Geschichte Ahnung hatten. Dazu kommt das Büchermaterial und das, was ich in den Bibliotheken durch die Fernleihe und so weiter erreichen kann. Den größten Fang habe ich damals in Hay-On-Wye gemacht, wo ich gleich einen ganzen Stapel alter Historienbücher gefunden habe. Ich bin da auch einfach ziemlich Wühlmaus, weil es mich persönlich interessiert.

Wie wichtig ist das Thema Liebe und Romantik für Deine Bücher/Dich?
Ui, jetzt kommen die schweren Fragen.
Mir persönlich ist Liebe sehr wichtig. Ich bin in dieser Hinsicht auch ein relativ emotionaler Mensch. Heißt: Wenn ich jemanden liebe, dann bleibt das auch so. Aber bis das passiert, dauert es. Und ich gehöre auch zu denen, die ohne die Liebe der wichtigsten Menschen in ihrem Leben eingehen wie eine Primel. Dann schätze ich aber, dass meine Definition von Liebe sich nicht in allen Punkten mit der anderer Menschen deckt. Vieles, was für andere „wahre Liebe“ ist, bedeutet mir gar nichts. Ich bin ein klarer Verfechter der Theorie, dass jeder Blumen kaufen und das Bett mit Rosenblättern bestreuen kann, dich aber der wirklich liebt, der dir beim Kotzen den Kopf hält.
Romantik dagegen ist gar nicht meins. Ich gehöre auch zu den Leuten, die auf Liebeserklärungen schon einmal etwas seltsam reagieren. Heißt, mein Mann macht eine große Geste und ich schau ihn an, alswäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. Mir fehlt da leider ein Gen.
Und ich denke, genau das schlägt sich auch in meinen Büchern nieder. Liebe ja, Romantik eher nicht so.

Andrea K Sothorn und Geryim

(c) Andrea K.

Wie stehst Du zum klassischen romantischen “Gay Romance”? Könntest Du in diesem Bereich schreiben?
Gib’s zu, du willst, dass ich geteert und gefedert werde. 😉
Erst einmal finde ich es schon verdammt schwer zu definieren, was überhaupt „Gay Romance“ ist. Ich lese diesen Begriff immer wieder auf Büchern, die ich dem Genre gar nicht zuordnen würde. Ich glaube, inzwischen wird der Begriff für fast jedes Buch verwendet, das zwei schwule Protagonisten hat, die irgendwie eine Beziehung anstreben. So würde ich es aber nicht definieren.
Allgemein kann ich sagen, dass es nicht wirklich mein Fachgebiet ist. Ich glaube auch nicht, dass ich darin schreiben könnte. Ich habe es mal versucht, aber dabei ist nichts herausgekommen, was man irgendeinem zumuten könnte.

Liest Du Gay Romance oder bist du eher ein Fan realistischer Gay-Romane? Wie sieht es allgemein mit denen Buch-Vorlieben aus?
Ich bin ganz klar ein Fan guter Bücher. *g* Und in welche Schublade die jetzt gehören, ist für mich eher sekundär. Allerdings ist es schon so, dass mir seltenst reine Liebesromane egal welcher Ausrichtung auf den Tisch kommen. Seitdem ich meine Abneigung gegen Thriller und Krimis überwunden habe, ist es sogar das einzige Genre, das ich fast gar nicht lese. Wobei ich das nicht falsch verstanden haben möchte: Ich mag Liebesgeschichten, zumindest schwule, aber ich ziehe es vor, wenn sie der zweite oder dritte Handlungsstrang im Buch sind und nicht der einzige.
Meine Buchvorlieben reichen elend weit, fürchte ich. Das fängt bei High-Fantasy an und endet irgendwo bei Sachbüchern. Das kann unglaublich albernes Zeug sein oder auch Nachdenkliches. Und dann habe ich ein Faible für alte Jugend- und Kinderbücher, die ich wieder und wieder lesen könnte. Am Ende ist es so, wie ich oben schon schrieb: Ein gutes Buch ist ein gutes Buch, egal, welcher Stempel drauf ist.
Als Beispiel: Bei mir auf dem Nachttisch liegen gerade das Kinderbuch „Wenn ein Unugunu kommt“, „Kakerlaken“, der Krimi von Jo Nesbö, ein Buch über das Leben in englischen Landhäusern durch die Jahrhunderte und ein Gay-Fantasy-Roman namens „The God Eaters“. Gut gemischt also. Und hey, so soll’s doch auch sein. Warum sollte man sich einschränken? Wem nutzt das was?

Da du nicht nur als Autorin aktiv bist, sondern den Incubus Verlag gegründet hast, will ich gerne die Gelegenheit nutzen, mehr über deine Arbeit als Verlegerin zu erfahren. Es gibt durchaus Gay Verlage in Deutschland – was hat dich dazu bewogen einen eigenen zu gründen?
Dafür gab es zwei Gründe. Einmal musste ich mich beruflich neu orientieren, und dann gab es in unseren Augen eine Lücke auf dem deutschen Gay Markt.
Schwule Bücher, die vielleicht nicht ganz so romantisch sind wie andere, aber trotzdem nicht gleich komplett den Freund der Unterhaltungsliteratur verjagen.
Wir wollten Bücher, bei denen das Happy End nicht garantiert ist, auch wenn es zu 90 Prozent dazu kommt. Bücher, die weder zur reinen Handliteratur zählen noch gleich ein Studium erfordern. Bücher, die Genres anfassen, die vielleicht gerade nicht absolut hip sind.
Vor allen Dingen aber ging es uns auch um die Druckqualität, da das etwas ist, was mir als Leser oft negativ aufgefallen ist. Schmale Bücher von 180 Seiten in schlechter Qualität, aufgeteilt auf x Bände, weil die Anbieter nicht dicker drucken konnten, ohne dass das Buch lächerlich teuer wurde. Ich habe das damals bei der Erstverlegung bei „Leben im Käfig“ erlebt und habe mir geschworen, dass das für mich nicht mehr infrage kommt.
Auch das war natürlich ein Punkt: Ich hatte erlebt, was es heißt, wenn bei der Verlagsarbeit wirklich alles schiefgeht. Ich bin jetzt nicht so arrogant zu behaupten, dass uns keine Fehler unterlaufen. Aber die Autoren sollten sich schon von ihrem Verleger ernst genommen fühlen. Wenn das nicht gegeben ist, läuft was gewaltig falsch.

Wie ist die Verlagsarbeit?
Alles von eintönig bis abwechslungsreich, von aufregend bis stinklangweilig, je nachdem, was man gerade zu tun hat. An den Büchern zu arbeiten ist grandios. Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit mit den Autoren. Aber Korrekturen übernehmen und Bücherkisten herumstapeln, das ist die Pest. Sehr schön ist es auch immer wieder, sich mit der Post herumzuschlagen.
Natürlich sind wir erst zwei Jahre dabei. Deswegen ist vieles immer noch neu und wir lernen jeden Tag dazu. Ich habe noch bei jeder neuen Lieferung Schweiß auf der Stirn, ob die Druckvorlagen in Ordnung waren, und habe immer noch Sorge, dass wir es mal richtig verbocken. Insofern: Verlagsarbeit ist bunt.

Welche Bereiche der Arbeit magst du ganz besonders, für welche hast du gar kein Händchen?
Ich arbeite sehr gern mit den Autoren zusammen und – man mag es kaum glauben – ich mache sogar gern die Buchhaltung. Das Lesen von Manuskripten kann auch grandios sein, manchmal aber auch eher weniger. Ich liebe den Moment, wenn neue Ware ankommt, wir sehen, dass alles okay ist, und wir die ersten Kisten ausräumen. Das ist toll. Die riechen so gut! Lektorate sind immer etwas zweischneidig. Je nachdem, wie anstrengend sie sind. Glücklicherweise sind bisher alle Incubus-Autoren sehr professionell und „pflegeleicht“ im Lektorat gewesen. Heißt, ich kann nichts von wilden Zerwürfnissen zwischen Verlag und Autoren berichten, weil man sich über irgendetwas nicht einigen kann. Das ist nicht selbstverständlich, und deshalb bin ich auch echt stolz auf unsere Jungs und Mädels.
Es gibt zwei Bereiche, wo ich eine echte Null bin und die ich deshalb ungern mache. Das sind einmal Absagen, weil ich es hasse, Autoren enttäuschen zu müssen, und dann einem Zeichner als Art Director zurseite zu stehen. Ich habe einen Knick in der Pupille. Ich kann die Arbeit eines Grafikers einfach nicht beurteilen, aber da ich hier ja fähige Kollegen habe, muss ich das glücklicherweise auch nicht.

Wie viele Bewerbungen erhaltet ihr im Durchschnitt pro Woche und nach welchen Kriterien sucht ihr aus?
Im Augenblick sind es nur noch zwei oder drei pro Woche, da wir verbreitet haben, dass wir bis 2016 keine neuen annehmen. Sonst kann es uns aber passieren, dass wir in der Woche 10 oder 15 neue Eingaben bekommen. Das ist meistens kaskadenartig. Manchmal kommt zwei Wochen kein einziges und dann auf einmal gibt es einen Erdrutsch und wir wissen nicht, wann wir das alles lesen sollen. Denn hey, dass diese Erdrutsche immer dann kommen, wenn wir eh rotieren, versteht sich ja von selbst. 😉
Die Kriterien gehen zu weit, um sie hier wirklich alle aufzuschreiben. Aber es geht natürlich um Qualität, Schreibstil, Ausrichtung der „romantischen“ Aspekte, Stimmigkeit und leider auch danach, wie stark einzelne Genres zurzeit schon bedient werden. Wir suchen zum Beispiel für 2016 dringend Contemporary-Material, bekommen aber sehr viel Fantasy, wo wir weniger Platz haben. Ein Punkt ist auch – das will ich gar nicht verschweigen – der Autor selbst. Man muss miteinander arbeiten können. Lieben muss man sich sicherlich nicht, aber ich muss hinter einem Autor stehen können. Ich würde zum Beispiel nie jemanden unter Vertrag nehmen, der auf Facebook seine Leser angeht. So bitter manches ist und so gern sich jeder auch mal Luft machen kann, direkte Angriffe gehen gar nicht.

Viele Jungautoren suchen nach einem Verlag. Welche Tipps und Hinweise würdest du ihnen mit auf den Weg geben?
Oh, da gibt es ein paar ganz einfache Regeln:
Ohne Vertrag läuft gar nichts.
Lest eure Verträge genau durch.
Zeigt sie auf jeden Fall einem Anwalt.
Lasst euch nicht bequatschen. Ein netter Verleger, der sich gut verkaufen kann, ist noch lange kein guter Verleger.
Sprecht mit anderen Autoren und hört euch in der Szene um.
Und lasst euch vor allen Dingen nicht davon blenden, dass euch jemand einen Vertrag anbietet. Das ist meistens ein Kompliment, aber es gibt auch unsaubere Vereine. Sobald jemand von euch Geld will, weil er euer Buch veröffentlicht, sucht euch den nächsten Mülleimer und werft den Vertrag weg.
Ich weiß es aus eigener Erfahrung: Wenn man sein eigenes Baby versenkt hat, weil man die falsche Wahl getroffen hat, möchte man sich nur noch in die Ecke setzen und heulen. Das wünsche ich niemanden.

Wie findest du den deutschen Markt im Gay Bereich? Wo siehst du ihn (und dich als Autor) in Jahren?
Der deutsche Gay-Markt existiert meiner Meinung nach in dieser Form nicht. Es sind eher mehrere Märkte, die durchaus Berührungspunkte haben, aber nicht immer Hand in Hand gehen. Deswegen kann ich da im Großen wenig zu sagen. Aber es gibt immer und überall zu wenig gute Bücher. Und ja, das würde ich auch dann noch sehen, wenn pro Jahr 400 hervorragende Gay-Romane erscheinen würden.
Wo die Zukunft liegt, ist ganz schwierig zu prognostizieren. Ich hoffe natürlich, dass sich der Markt bzw. die Märkte weiter ausbauen lässt und dass vielleicht auch die Abwehrhaltung abgebaut werden kann, die bei einigen Lesergruppen und teilweise auch bei der LGBT-Community vorhanden ist.
Aktuell werden wir ja sehr überschwemmt. Daher glaube ich, dass der Gay Markt sich selbst in den nächsten Jahren bereinigen wird. Und dass wir sehen müssen, wer am Ende noch im Spiel ist und wer die Motivation verloren hat. Da sind wir alle nicht vor sicher.
Natürlich hoffe ich für mich, dass ich viele Bücher schreiben werde und dass es Incubus wunderbar gehen wird. Aber es gibt da mehrere Faktoren, die keiner so richtig vorhersagen kann. Wir wissen zum Beispiel nicht, was die Großverlage vorhaben. Sie fischen gerade ein bisschen im Gay-Bereich herum und testen das Genre. Wenn sie sich darin breitmachen wollen, was bedeutet das dann für uns? Mehr Leser? Mehr Aufmerksamkeit? Oder werden die Großverlage die kleinen Genreverlage kaputtspielen? Man weiß es nicht.
Die größten Sorgen macht mir allerdings im Augenblick die Online-Szene. Im Social Media-Bereiche passieren unglaubliche Dinge, die Leser und Autoren betreffen und mich manchmal wünschen lassen, dass das Web nie erfunden worden wäre. Es ist toll, sich mit den Kollegen und den Lesern verständigen zu können. Aber es gibt auch Schattenseiten. Und eine davon ist sicherlich, wenn ein Autor das Schreiben aufgibt, weil so viele Hetzkampagnen gegen ihn gefahren wurden.

Was würdest du die Fans fragen, wenn du etwas wissen möchtest?
Fans. Ja. Ich habe mich an solche Begriffe immer noch nicht so richtig gewöhnt. Aber ich möchte sie Folgendes fragen: Kennt jemand einen guten Orthopäden? Sponsort mir jemand einen Leibsklaven? Oder hat wenigstens jemand eine Wärmecreme für meinen Nacken? Juliane hat mich geschafft. *lach*
Ich könnte jetzt natürlich noch fragen, welches Buch ihr als Nächstes gern beendet haben möchtet. Aber ganz ehrlich: Da meine Muse ziemlich flatterhaft ist, würde ich euch nur enttäuschen und am Ende doch etwas ganz anderes zuerst anschleppen.

Deine Worte an die Fans?
Ihr seid unglaublich. Diese ganze Geschichte ist im Grunde unglaublich. Ich bin ohne Erwartungen damals auf FF.de aufgetaucht. Ich wollte einfach nur wieder schreiben und habe mich vor Freude beinahe vom Schreibtischstuhl gewibbelt, als so viele von euch den Weg zu meinen Geschichten gefunden haben.
Aber was danach passiert ist, ist und bleibt der Wahnsinn. Gerade ohne euch, liebe FF.de-ler, wäre manches Buch nicht entstanden. Klar, da gibt es noch andere Faktoren. Aber eure Rückmeldungen, und dass ihr mir im Nacken gegessen habt, weil ihr wissen wolltet, wie es weitergeht, das ist eine tolle Motivation.
Und dann entschuldige ich mich an dieser Stelle mal offiziell für alle Taschentücher, die ihr wegen mir verbraucht habt, für durchgewachte Nächte und dafür, dass mir keines von beidem wirklich leidtut. 😉
Danke!

Erwähnte ich übrigens schon einmal, dass ich mich schlecht kurzfassen kann?

Und dann noch herzlichen Dank an dich, liebe Juliane, dass du mir diese Möglichkeit gegeben hast und dir so viel hast einfallen lassen. Ich bin immer noch ganz begeistert. Danke!

An dieser Stelle möchte ich mich bei Raik für ihre Offenheit, Ausführlichkeit und Ehrlichkeit bedanken – es war toll, dich fragen zu dürfen und es stört überhaupt nicht, dass du dich nicht kurzfassen kannst. Vielen lieben Dank für das Interview.

[CHARAKTERINTERVIEW] Steffen und Alex aus “Zerrspiegel”

Das folgende Charakterinterview entstand nach der Lektüre von “Zerrspiegel”. Daher enthalten sowohl die Fragen, als auch die Antworten Spoiler auf den gesamten Roman. Wer das Buch noch nicht kennen sollte, sollte dringend vorab die Geschichte von Steffen und Alex lesen – allen anderen wünsche ich viel Spaß beim Interview 🙂

Alex und Steffen, der seinen Künstlernamen Steve Simon weitestgehend abgelegt hat, treffen Juliane in einem ruhigen Strandcafé an der Weser. Sie sitzen nebeneinander in einem der Strandkörbe, die sich tief in den künstlich aufgeschütteten Sand gegraben haben. Ein gewaltiger Sonnenschirm mit dem Logo eines Bierherstellers verdeckt die freie Sicht für die anderen Gäste.

Juliane beginnt mit der ersten Frage, nachdem sie an ihrem Latte genippt hat: „Es ist toll, dass ihr beide euch die Zeit genommen habt, uns ein wenig mehr über euch zu erzählen und „Like a Dream“ Rede und Antwort zu stehen. Nur um klare Verhältnisse zu schaffen: Das ist eher ein Buchblog, denn ein Musikblog, sprich Alex wird sich wahrscheinlich wohler fühlen, oder?“

Alex scheint ein bisschen nervös zu sein. Es ist mit Sicherheit sein erstes Interview. Steffen grinst ihn an und wendet sich der ersten Frage zu: “Früher hätte ich dir da blind zugestimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal was anderes als eine Bedienungsanleitung für einen Amp gelesen hätte. Aber inzwischen ist das ziemlich anders. Lesen ist schon eine tolle Angewohnheit.”
“Und seitdem er die Bücher einmal für sich entdeckt hat, ist es manchmal echt schwer, ihn davon loszueisen”, fügt Alex hinzu.

“Das klingt danach, als sei er Stammgast in der Bücherei, oder füllt sich eure Wohnung mehr und mehr mit Romanen und Büchern?” Juliane sieht zwischen den beiden hin und her. Im Stillen fragt sie sich, ob die neu entdeckte Lesewut Steffens nicht auch anderweitig für Unstimmigkeiten sorgt. Sie entscheidet sich die Frage später zu stellen.

“Wie, füllen?”, fragt Alex lachend. “Ich meine, klar werden es mehr. Aber ich hab ja schon genug Zeug mitgebracht. So ist es ja nicht. Ehrlich gesagt bin ich meistens immer noch derjenige, der die neuen Sachen anschleppt und dabei schrecklich übertreibt.”
“Genau.” Steffen nickt und nippt an seiner Cola. “Ich besorge eher die Sachen fürs Studium. Und ehrlich, das meiste ist sowieso schon da. Wenn auch in irgendeiner Ecke. Keine Ahnung, wie oft ich schon mit irgendetwas nach Hause gekommen bin und Alex dann gesagt: ,Das haben wir doch schon.’ Ich hab da noch null Überblick. Gerade bei den ganzen Standardsachen. Goethe und sowas.” Er verzieht das Gesicht. “Das brauche ich ja eigentlich sogar gar nicht.”

“Na wenigstens ist sie Alex in dieser Beziehung treu geblieben.” Juliane grinst. “Ich teile da die Bücherleidenschaft, und mal unter uns: Ich habe nicht einmal einen Überblick über meine eigenen Bücher. Ich habe sogar des öfteren Romane gekauft, die schon bei mir daheim stehen und die ich jetzt doppelt habe.” Juliane schaut einigen Mädchen hinterher, die sich den Hals in Steffens Richtung verrenken. “Seid ihr eigentlich umgezogen, oder habt ihr noch immer die kleine Wohnung in der Innenstadt? Wie lang lebt ihr jetzt schon zusammen?”

Steffen lächelt den Mädels kurz zu, verzieht sich aber gleich darauf tiefer in die Ecke des Strandkorbs. Seine Hand ruht dabei mit großer Selbstverständlichkeit auf Alex’ Bein. Eine Bedienung fragt die Mädchen nach ihren Wünschen und drängt sie freundlich zu einem freien Platz. Anschließend zwinkert sie den Jungs zu. Anscheinend gibt es hier eine Absprache …
“Das kann mir nicht passieren. Ich habe eine Liste im Web, auf die ich über Handy immer Zugriff habe”, erzählt Alex. “Berufskrankheit quasi.“
“Er wird hysterisch, wenn ich nicht alles brav eintrage, was ich gekauft habe”, verrät Steffen mit einem teuflischen Grinsen. Alex nimmt den kleinen Seitenhieb nicht übel. Er lacht und streckt seinem Freund die Zunge raus. “Wir sind inzwischen umgezogen”, fährt Steffen fort. “Wir leben inzwischen in einem kleinen Haus im Außenbereich von Bremen. Nichts Dolles. War aber nötig.”
“Genau. Wir brauchen einen Raum für die ganzen Instrumente.”
“Und für die Reste von der Bibliothek von Alex’ Großvater.” Steffen macht ein betroffenes Gesicht. “Ist ja leider nicht mehr so viel übrig.” Sie wechseln einen Blick.
“Naja, und die Nachbarn waren auch nicht so begeistert, einen Musiker im Haus zu haben”, sagt Alex schnell. Das Thema Großvater scheint ihm nicht zu behagen.
“Oh, und es sind jetzt … öh …”
“Etwas über ein Jahr”, ergänzt Steffen.

“Das freut mich sehr für euch. Und keine Sorge, ich frage jetzt nicht nach der Adresse.” Sie grinst und hebt die Schultern. “Das heißt, dass Steffen jetzt schon im dritten Semester ist, oder? Wie ist das Studium? Ich habe das Gefühl, Klassiker sind nicht so ganz deins – wenn man deinen Kommentar zu Goethe nimmt, aber mich interessiert doch, welche Bücher du besonders gern magst?” Mit einem kurzen Blick zu Alex fügt sie hinzu: “Die Frage ist für euch beide – mich interessiert brennend, was ihr so lest.”

“Ganz genau. Drittes Semester. Mal ehrlich: Ich habe nicht allgemein was gegen Klassiker. Aber manches Zeug … Weißte, da hat irgendwer irgendwann mal entschieden, dass das tooootal wahnsinnig literarisch wertvoll ist. Mag ja auch sein, dass da der Zeitgeist irgendwie eine Rolle spielt. Aber wenn ich mir die “Leiden des jungen Werthers’ anschaue … meine Fresse, was ein Geheul! Überhaupt, man hat manchmal das Gefühl, dass die Literaten nur das gut finden, wo am Ende alle über den Jordan gehen”, plappert Steffen los. Alex sieht aus, als ob er gleich in Ohnmacht fällt. “Andere Sachen sind richtig cool. Ich steh auf die alte Droste-Hülshoff. Und ich könnte stundenlang die Sachen von Poe, Lovecraft, Stoker und Stevenson lesen. Oder auch Mary Shelley. Die hatte viel mehr zu sagen, als die Leute immer so schnallen, glaube ich. Und sonst bin ich noch ziemlich am Anfang. Das ist wie eine Entdeckungsreise… ich mag Krimis. Thriller. Horror. Und solche Sachen wie Christopher Moore.”
“Moore ist klasse”, stimmt Alex zu. Er scheint sich halbwegs erholt zu haben. “Und was du für ein Problem mit Goethe hast, werde ich nie verstehen.”
“Zu viel Drama für mich.”
Alex winkt ab. “Banause. Jedenfalls: Ich mag Goethe. Faust, Clavigo … Tolle Sachen. Ich lese allgemein ziemlich quer. Mich sprechen ganz unterschiedliche Bücher an. Ich meine, in der Bücherei komme ich einfach mit ganz viel Material in Kontakt. Und da wird man automatisch neugierig. Ich sehe da auch kein Problem drin, heute ,Maurice’ zu lesen und morgen ,Harry Potter’. Möchtest du übrigens noch einen Kaffee, Juliane?”

Juliane muss sich ein Lachen verkneifen, während sie Steffens Ausführungen lauscht und stimmt einigen Punkten insgeheim zu. Allerdings entscheidet sie sich dafür, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. ‘Man will ja keine Beziehungskrise auslösen’, denkt sie, während sie der Kellnerin zuwinkt und sich einen Latte bestellt. “Wollt ihr noch etwas?” Nachdem die beiden ihre Bestellung aufgegeben haben, fährt sie fort: “Ich bin auch jemand, der quer durch den Garten liest. “Maurice” habe ich mal als Teenager angefangen und nach 10 Seiten aufgegeben. Gut 10 Jahre später, habe ich dem Buch eine zweite Chance gegeben und siehe da: Ich fand es unheimlich toll. Für einige Bücher muss man reif genug sein oder es zu einer passenden Gelegenheit lesen. Man ist nicht immer in der Stimmung für Klassiker und alte Geschichten.” Sie wendet sich an Alex: “Du hast ja von deinem Großvater eine wahre Bibliothek geerbt und auch wenn viele Werke verloren sind, gibt es unter den Schätzen eines, was dir besonders viel bedeutet?”

Zwei Colas und ein Windbeutel werden bestellt. Während Juliane sprach, haben die Jungs beide genickt. Als die Frage nach der Bibliothek des Großvaters gestellt wird, verdüstert sich Alex’ Miene. Auch Steffen wirkt plötzlich ein wenig angespannt.
“Naja, im Grunde hat mir ja die ganze Sammlung einfach viel bedeutet. Unabhängig vom Inhalt.” Alex presst die Lippen aufeinander. “Auf jeden Fall bedeuten mir die Bücher viel, die mein Opa mir früher vorgelesen hat. Aber da gibt es noch so ein Buch, einen ganz alten Schinken über Tiere und Pflanzen in den heimischen Wäldern. Das ist auf ganz dickem Papier gedruckt, mit Zeichnungen aller Tiere und Pflanzen. Ich kann mich erinnern, dass ich früher stundenlang in meinem Zimmer gesessen und darin geblättert habe. Lange bevor ich lesen konnte.”
“Oh, und die gebundene Lederausgabe vom Herrn der Ringe”, merkt Steffen an. “Oh ja, da hast du recht. Das ist wirklich ein Prachtstück. Gehört eigentlich in eine Vitrine.”

Juliane überlegt, ob sie weiter nachbohren soll. Sie wirft Alex einen mitfühlenden Blick zu. “Es tut mir sehr leid, was da passiert ist. Ich denke, ich verlagere meine Fragen lieber in eine andere Richtung, okay?”

“Da wäre ich echt nicht bös drum.” Dankbar lächelt Alex Juliane zu.

“In Ordnung, dann gehen wir doch mal in eine andere künstlerische Richtung, bevor ich euch zu eurer Beziehung ausfragen werde – ich hoffe, ich darf das.” Sie zwinkert beiden zu. “Steffen, du hast ja vor über einem Jahr dein Pseudonym Steve an den Nagel gehängt. Was für ein Gefühl war das für dich, diesem Lebensabschnitt ein Ende zu setzen? Gibt es Zeiten, wo du den Rummel und all das vermisst?”

Alex und Steffen tauschen einen verschmitzten Blick aus. “Kommt auf die Fragen an”, sagen sie zeitgleich und lachen.
Steffen schnappt sich seine Cola und fängt an, den Strohhalm zu zerkauen, bis er ganz platt ist. “Ehrlich?”, beginnt er. “Ich habe immer noch keine Ahnung, wie das jetzt wirklich ist und was es für mich bedeutet. Ich meine …”, er verdreht die Augen, “… es ist ja schon genug darüber geschrieben worden. War echt spannend zu lesen, was die Leute alles über mich wissen wollen, ohne je mit mir gesprochen zu haben. Egal. Es ist auf jeden Fall zwiespältig. Musik war mein Leben. Und ich dachte immer, dass ich sie verliere, wenn Steve Simon untergeht. Das ist natürlich Bullshit. Aber wenn man bis Unterkante-Oberkante in der Scheiße sitzt, schnallt man das nicht. Ich hab die Kontrolle verloren. Das heißt, erst wurde sie mir weggenehmen in Sachen Musik und dann habe ich die Kontrolle über mich selbst verloren. Trotzdem war es immer noch, als würde ich mir die Pulsadern aufschneiden.”
Alex rückt fast unmerklich näher an Steffen heran.
“Alles stand Kopf. Alles, was wichtig war, war dreckig geworden. Und nichts war mehr echt. Also war es am Ende trotz allem eine Erleichterung, dem ein Ende zu machen. Klar vermisse ich es. Ich vermisse die Bühne, die Fans, die Touren. Aber ich vermisse es nicht, gejagt zu werden und mir von jemandem, der keine Scheißahnung von Musik hat, in meine Mucke reinreden zu lassen.”

Juliane nickt leicht. “Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, so verfolgt zu werden und keinen sicheren Ort mehr zu haben. Aber ich bin froh, dass du den Absprung geschafft hast und dich in letzter Sekunde von dem ganzen Dreck befreien konntest. Ich will gar nicht wissen, wie hart das gewesen sein muss, alles, was einem etwas bedeutet hat, aufzugeben.” Sie lächelt und nickt Alex zu. “Wobei du ja nicht alles aufgegeben hast, oder? Immerhin hast du Alex zurückgewonnen und das ist immerhin wie ein Sechser im Lotto, nicht?”

Oh, ich habe noch viel mehr gewonnen als das. Mir kommt es inzwischen vor, als wäre ich während der heißen Jahre dauernd stoned in der Gegend rumgelaufen. Mit Scheuklappen drauf obendrein. Und Alex habe ich nicht nur zurückgewonnen. Er hatte viel mehr mit dem Prozess zu tun, mich selbst zu erkennen und mir klarzumachen, dass ich so auf Dauer nicht zurechtkomme. Glaub mir, es ist ein ätzendes Gefühl, eines Tages aufzuwachen und dir klarzumachen, dass du nur noch aufrecht stehen kannst, wenn du betrunken bist oder Tabletten intus hast. Man steht auf der Bühne und erzählt den Leuten, dass sie aufrecht zu sich stehen sollen, dass sie ihren Weg gehen sollen und selber ist man dieser kleine Pisser, der sich wie ein Ochse am Nasenring durch die Arena führen lässt.” Steffen hat sich in Rage geredet. Seine Nase ist ein bisschen rot geworden. Offenbar regt ihn das Thema immer noch auf.

“Beruhige dich, okay?” Juliane nippt unentschieden an ihrem Latte und überlegt, wie sie das Gespräch in ruhigere Bahnen lenken kann. “Es gibt immer Momente im Leben, wo man sich für einen falschen Weg entscheidet. Wichtig ist doch, dass man es schafft, seine Fehler zu erkennen und einen Weg hinaus findet. Dir ist das gelungen. Und ich denke doch, dass du die Musik nicht verloren hast. In eurer neuen Wohnung gibt es doch einen passenden Raum, wo du wieder das machen kannst, was dir etwas bedeutet – deine Musik, ganz einfach Steffens Musik. Kein Zwang, keine Idioten, die dir etwas vorschreiben und erst recht niemand, der die in eine Richtung drängen will, die dir nicht liegt.”
Sie überlegt und fügt hinzu: “So geht es mir als Autor auch: man will eigene Geschichten schreiben, eigene Ideen umsetzen, nicht das, was die großen Verlage gerne copy’n’paste mäßig auf den Markt werfen wollen.”

„Ich schätze, das ist ganz ähnlich”, schaltet Alex sich sein. “Es gibt eine bestimmte Mode, die dann endlos reproduziert wird. Ob es ja jetzt um Musik oder Bücher geht, ist wahrscheinlich gar nicht so wichtig. Es sind jedenfalls Kaufleute, die die Entscheidungen treffen. Keine Künstler. Es wird wohl immer schwierig, wenn die anfangen, gegeneinander statt miteinander zu arbeiten.”

“Ja, leider.” Juliane spielt mit ihrem Lippenpiercing und betrachtet die beiden nachdenklich. “Spielst du denn noch, Steffen? Ich meine im kleinen Kreis? Oder ist dir sogar das momentan zu viel?”

Steffen sieht fragend auf. Offenbar waren seine Gedanken in andere Richtungen abgewandert. “Nein, nein. Im Moment nicht. Also für mich allein schon. Es tut einfach gut, die Gitarren mal wieder richtig jaulen zu lassen. Aber in Sachen Band habe ich noch nichts unternommen.” Er zuckt die Achseln. “Es läuft mir nicht weg. Es gibt so viele Musiker, nach fünf oder sechs Jahren wieder aufgetaucht sind, mit frischem Material. Ich treibe mich da gerade nicht.”

“Kann ich verstehen. Was mich natürlich interessiert, ist, ob du inzwischen nicht mal den Versuch unternommen hast, mit den Jungs von “Terrific” in Kontakt zu treten? Immerhin habt ihr gemeinsam angefangen und hattet eine Menge Dinge, die ihr zusammen gemacht habt.”

Er wiegt den Kopf. “Ja, habe ich. Mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. Ein zwei von denen … naja, sie sind mir böse. Und ich kann’s verstehen.”
“Naja, deswegen hätten sie nicht so klar sagen müssen, dass sie froh sind, dass du auf die Schnauze gefallen bist”, grummelt Alex.
“Ach, ich kann’s verstehen”, gibt Steffen zu. “Wo war ich? Also ja. Nicht alle sind begeistert gewesen. Marcel war ja sowieso nie das Problem. Aber zwei von den anderen … mit denen habe ich inzwischen wieder Kontakt. Sie haben kaum noch mit Musik zu tun. Sind inzwischen beide Papa.” Er grinst. “Auch, wenn ich es mir das noch nicht richtig vorstellen kann. Wir reden ab und zu und wollen irgendwann mal eine Jam Session machen. Nur so aus Spaß”.

“Das klingt doch prima. Ich freue mich sehr, dass es sich zumindest in der Richtung wieder eingerenkt hat. Und manchmal dauert es bei anderen länger, bis sie einem verzeihen.” Er wirft Alex einen Blick zu und grinst. “Da dich Alex ja erfolgreich zu den Büchern gebracht hat, wie sieht es umgekehrt aus? Hast du Alex denn ein wenig zur Musik bringen können, Steffen? Ich gebe zu es interessiert mich brennend, ob Alex nicht mal den Versuch unternommen hat, Gitarre zu spielen.”

Die Bedienung bringt die Bestellungen. Steffen stürzt sich sofort mit glänzenden Augen auf seinen Windbeutel. Bevor man sich versieht, hat er den Mund voll. Alex guckt ein bisschen verdutzt, übernimmt dann aber schmunzelnd die Frage. “Es hat auch anders herum funktioniert. Ich überrasche mich selbst dabei, dass ich genauer hinhöre und mich mehr mit Musik beschäftige. Mein Gehör ist aber zum Beispiel nicht so gut wie Steffens. Ich würde es nie heraushören, ob die Streicher in einem Lied zum Beispiel echt sind oder von einem Synthesizer stammen. Und ich merke mehr und mehr, dass ich total gerne Sachen mag, die nicht aus der Konserve kommen.”
“Ich hab ihn neulich dabei erwischt, wie er in voller Lautstärke Manfred Mann’s Earth Band gehört hat, als ich heimkam”, wirft Steffen mümmelnd ein. “Er hat übrigens eine echt schöne Stimme. Ich bin total begeistert.”
“Naja, hält sich.” Alex bekommt ein bisschen rote Ohren. “Gitarre spielen habe ich nicht versucht. Mich irritiert das mit den Saiten. Oder ich hab zu dicke Finger. Aber Steffen hat ein E-Piano mitgebracht. Und da habe ich mich mal dran versucht. Die Ergebnisse halten sich noch in Grenzen, aber es macht Spaß.”

“Wow, das finde ich echt toll. Und jetzt würde ich zu gerne hören, wie du singst. Wer weiß, vielleicht komme ich ja irgendwann mal in den Genuss”, sagt sie lächelnd und stibitzt sich einen Windbeutel. “Ihr scheint wirklich gut zusammen zu passen. Das bringt mich gleich darauf, euch zu fragen, wie es in eurer Beziehung läuft? Für Steffen ist es ja die erste richtige Beziehung, für dich Alex die zweite, oder?”

“Keine zehn Pferde kriegen mich auf eine Bühne, keine Chance.” Alex lacht herzlich, schaut von seinem Freund zu Juliane und bestellt einen zweiten Teller Windbeutel.
Steffen zwinkert ihm zu. “Du kennst mich sooo gut.“
Dann wendet er sich an Juliane. “Stimmt schon. Meine erste. Alex’ zweite. Und tja. Eh. Wie läuft es denn?”
Alex schaut auch ein bisschen hilfesuchend. “Ja, gut, ne? Würde ich sagen. Oder?”
Steffen nickt. “Ich denke schon.” Sie fangen an zu lachen.
“Ich glaube, du musst ein bisschen genauer fragen”, sagt Alex lachend. “Wie du siehst, sind wir zusammen. Und glücklich darüber. Oder wolltest du wissen, wer die Wäsche wäscht?” Er grinst breit und klaut sich auch einen Windbeutel.

“Also ich will ja nicht zu sehr in eure Privatsphäre dringen – bin ja keiner dieser Journalisten, die Menschen so extrem auf die Pelle rücken. Ihr verratet, was ihr verraten wollt und gut ist. Dass ihr glücklich seid, freut mich sehr – ich mag es einfach, wenn sich zwei Menschen finden und trotz diverser Widerstände zusammen bleiben.” Sie blinzelt Alex zu “Und Bühne muss ja bei einem Song nicht sein – eine Privatvorstellung in Wiesbaden reicht – sprich fühlt euch eingeladen.”

“Ach, das passt schon. Solange man gefragt wird, kann man Nein sagen. Das ist okay für mich”, erklärt Steffen entspannt. “Schwierig wird es nur, wenn du wirklich bei jeder Gelegenheit bestürmt wirst. Zum Beispiel auf dem Weg zum Arzt oder so. Dann schleppst du dich dahin, mit einer dicken Influenza, siehst aus wie eine Wasserleiche und jemand fotografiert dich. Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass du AIDS hast.”
“Zum Beispiel. Ich hab ja auch einmal dran glauben müssen. In Sportklamotten, nachdem ich vom Laufen kam. Danach hatte Steffen einen “ungepflegten Freund”.” Alex scheint sich darüber eher zu amüsieren als zu ärgern. “Und das mit der Privatvorstellung überlege ich mich. Wenn du mich mit Essen lockst, könnte das sogar glatt klappen.”

“Diesen Worten entnehme ich, dass eure Beziehung unterdessen bekannt ist. Wie haben es denn deine alten Fans wirklich aufgenommen, Steffen? Deine alte Plattenfirma hatte ja wirklich Probleme, deine Homosexualität öffentlich zu machen.”

Steffen nickt. “Das war so eine Sache für sich. Es gab viele sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Fans waren größtenteils ganz cool, klar, gab ein paar böse Aktionen von einigen Mädels. Die meisten konnten damit aber besser als die Plattenfirma damals befürchtet hat. Die Öffentlichkeit, das war eine andere Geschichte. Einige waren total genervt. So nach dem Motto: ,Ach nö, noch einer. Die kriechen jetzt ja überall aus den Löchern.’ Andere Leute, von denen ich es vielleicht auch gar nicht erwartet hätte, haben sehr positiv reagiert und mir gratuliert. Es gab aber auch ein paar echt hässliche Aktionen.”
“Ein paar Leute haben sich zusammengetan und Steves Alben öffentlich verbrannt”, erzählt Alex leise. “Gab einen ziemlichen Tumult. CDs fangen nicht so gut Feuer. Also haben sie einen Brandbeschleuniger benutzt und damit das ganze Plastik von den Hüllen in die Luft gejagt. Die Feuerwehr war nicht begeistert.”
Steffen schüttelt den Kopf. “Das war schon eine doofe Erfahrung. Auch die Shitstorms, die es hier und da gab, waren echt übel. Zumal auch welche ausgerechnet aus den LGBT-Community kamen.”

Juliane schaut ungläubig drein. Man sieht ihr an, dass sie diese Aktionen weder mitbekommen noch erwartet hat. “Moment mal, da sind wirklich Leute hingegangen und haben deine CDs verbrannt??? Ich fasse es nicht!” Sie knirscht mit den Zähnen. “Und dass auch aus der LGBT.-Community böse Worte kamen, finde ich jetzt auch nicht so toll. Man, da will man doch nie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen – also wirklich.” Sie beruhigt sich und überlegt einen Moment: “Und deine Eltern, Steffen? Wie haben die darauf reagiert?”

“Ein paar Querschläger gibt es immer.” Alex scheint zu warten, dass Steffen etwas sagt. Als der keine Anstalten macht, antwortet er selbst: “Weißt du, das Problem war wohl, dass Steffen zu lange im Schrank war. Es gab so viele Berichte über Frauen, mit denen er was hatte. Das sieht jetzt natürlich aus, als hätte er absichtlich allen etwas vorgemacht. Klar, dass es dann heißt, dass er eine Klemmschwester ist, die erst
dann an die Öffentlichkeit geht, wenn es schick ist.”
“Man muss dazu sagen, dass ich nie Berichte über irgendwelche Frauen bestätigt habe. Aber natürlich auch nicht dementiert. Das muss ich schon zugeben.” Steffen lächelt nicht mehr. Erst, als Alex ihm locker den Arm um die Schulter legt, fährt er fort: “Meine Eltern? Das war noch so eine Sache. Meine Mutter … man sagt ja immer, dass Eltern Bescheid wissen. Sie wusste es. Mein Vater ist aus allen Wolken gefallen. Ich glaube, das erste, was er sagte, war: Das auch noch.’ Okay, das war nicht gerade das, was ich mir gewünscht habe. Aber ich schätze, man muss das Eltern erst mal zugestehen. Inzwischen sind sie ganz entspannt. Und mögen Alex sehr gern.”

“Das freut mich sehr. Ich finde ihr seid ein tolles Paar. Und man muss wirklich anerkennen, wie viel ihr schon gemeinsam durchgestanden habt. Ich denke mal, dass du unterdessen auch Alex’ Freunde kennengelernt hast, oder Steffen?”

“Vielen Dank, finde ich auch.” Steffen nimmt in einer rührenden Geste, die irgendwie nicht zu seiner abgewetzten Lederhose passt, Alex’ Hand und drückt einen Kuss darauf. “Und klar kenne ich Alex’ Freunde. Unsere Freunde. Und wir haben auch noch eine Menge anderer Leute kennen gelernt. Vor allen Dingen Männer. Aber das lassen wir hier lieber. Au!” Steffen hat gerade einen Ellbogenhieb von Alex kassiert.

“Oha, kommt da Eifersucht auf, oder irre ich mich da?” Juliane grinst und leert ihren Kaffee.

“Ne, absolut nicht. Aber wir wollten ja nicht ins Eingemacht gehen”, grinst Alex zurück. “Ich bin verdammt froh, dass Steffen und ich da auf einer Wellenlänge schwimmen.”

“Das heißt es gibt da nicht das ein oder andere Abenteuer, das wir jetzt besser nicht so detailliert erörtern?”

Der nervende Chronist – Raik Thorstad

“Wir mögen Abenteuer”, antwortet Steffen mit unschuldiger Miene. “Nicht immer, nicht überall. Aber manchmal …”

Juliane neigt sich ihnen verschwörerisch zu. “Wird es irgendwann wieder etwas von euch zu lesen geben – nicht in Form von Zeitungsberichten und Skandalen, sondern in Form von einer netten kleinen Episode von euch?”

Verwirrtes Schweigen. Steffen zieht die Nase kraus, Alex runzelt die Stirn. Dann erhellt sich Steffens Miene. “Ach, ich weiß, was du meinst. Der Chronist. Oh Gott. Keine Ahnung. Raik war zwischendurch anhängliche wie eine Schmeißfliege.” “Wie Filzläuse”, wirft Alex ein. “Ich weiß nicht, ob da jetzt noch einmal etwas aufgeschrieben wird. Ich würde es nicht für ganz unmöglich halten. Vielleicht so ein paar Seiten Kurzgeschichte. Mehr aber garantiert nicht. Wir sind ja jetzt quasi in ruhigem Fahrwasser. Das interessiert doch auch keinen.” Er zwinkert Juliane zu.

“Och, das würde ich nicht sagen.” Juliane zwinkert zurück und räuspert sich dann. “Fans interessieren auch ruhigere Zeiten und wenn es die Chance gibt, mehr über Alex’ ungeahnte Talente beim Singen zu erfahren, wären bestimmt viele gespannt, auf mehr. Aber da wir gerade bei eurem Chronisten sind – was haltet ihr denn von Raik? Wie ist sie so bei der Recherche?”

“Nicht viel”, gibt Alex umunwunden zu. “Raik ist ein elender Schnüffler. Da wird wirklich alles bis zum Exzess untersucht. Aber zumindest muss man sagen, dass sie nichts dazu gedichtet hat.”
“Das stimmt. Was sie aufschreibt, ist auch wirklich so passiert. Auch, wenn das eine oder andere ein bisschen peinlich ist. Aber ich glaube, das ist immer so, wenn man jemanden seine Geschichte aufschreiben lässt”, stimmt Steffen zu.

“Na, dann bin ich gespannt, ob ihr beide ihr noch einmal die Möglichkeit gebt, eine Episode aus eurem Leben niederzuschreiben.” Juliane wirft einen Blick auf die Uhr und zuckt zusammen. “So langsam wird es Zeit, euch mit meinen nervigen Fragen in Ruhe zu lassen, oder? Gibt es etwas, was ihr gerne noch wissen wollt – von mir, z.B.? Oder ist da etwas, was ihr den Lesern gerne mitteilen möchtet, oder von ihnen erfahren wollt? Im Anschluss dürfen nämlich die Leser noch Fragen stellen, sprich haltet euch für weitere Rückfragen bereit – dann aber via Mail?”

“Ich glaube, im Augenblick haben wir keine weiteren Fragen, oder Alex?”
“Nein, ich denke auch nicht”, bestätigt Alex. “Ich bin mal gespannt, wie das Interview am Ende aussehen wird. Ist ja auch mein erstes. Und was die Rückfragen angeht: Immer raus damit. Wie Steffen schon sagte: Nein sagen können wir ja immer noch, wenn uns was zu privat ist.”
Steffen winkt der Bedienung zu und bezahlt ohne Einwürfe zu dulden die gesamte Rechnung. Er blinzelt in die Frühlingssonne. “Vielen Dank, Juliane. Es war schön, einfach mal offen in einem Interview sprechen zu können. Ich, das heißt, wir wünschen dir ganz, ganz viel Erfolg mit deinem Blog und auch für deine Bücher.”
Alex streckt und rekelt sich. “Und den Lesern kannst du sagen, dass wir uns auf sie freuen.”

“Vielen Dank ihr Zwei. Es war toll, euch einmal privat kennen zu lernen und mit euch zu plaudern.” Sie lächelt, schiebt ihnen ihre Visitenkarte zu und steckt diskret die von Alex ein. “Ich melde mich garantiert nochmal, wenn ich im Nachhinein noch Fragen habe und um einen Termin für Wiesbaden fertig zu machen – ich koche zwar nicht, aber meine Freundin Tanja ist eine wirklich tolle Köchin. Wir würden uns freuen, euch mal bei uns begrüßen zu dürfen.” Sie atmet tief durch und packt ihre Sachen zusammen. “Ich wünsche euch noch einen wundervollen Sonntag – vielen Dank für das tolle Gespräch.”


Jetzt habt ihr die Möglichkeit Alex und Steffen mit Fragen zu bombardieren! Es gibt Dinge, die ihr noch unbedingt über die beiden Wissen wollt? Sachen, die ihr loswerden oder den beiden sagen wollt? Immer her mit euren Fragen. Schickt sie an Koriko@gmx.de – ich leite sie entsprechend weiter. Alle, die sich bereits jetzt daran beteiligen, nehmen automatisch am Gewinnspiel teil, das am Freitag startet.

[INTERVIEW] Cecil Dewi

Die Specialweek nähert sich dem Höhepunkt und natürlich darf auch ein Interview mit Cecil Dewi nicht fehlen. Die Autorin hat sich freundlicherweise all meinen Fragen gestellt und diese mitunter sehr ausführlich beantwortet. Wer mehr über Cecil Dewi erfahren will, sollte sich auf ihrem Blog umschauen – dort findet ihr Informationen zu ihren Büchern und weitere Infos zu neuen Projekten:

http://www.dewischreibt.blogspot.de/

Bitte erzähl und ein wenig mehr von dir. Was machst du in deiner Freizeit?
  Ich bin 35 Jahre alt und bin von Beruf Stadtplanerin. Seit zwei Jahren lebe ich mit meinem Mann und drei Katzen in Valparaíso, Chile. Ich schreibe Geschichten, von denen zwei als Romane bei Verlagen erschienen sind. Eine Novelle habe ich kürzlich im Eigenverlag herausgebracht.
Wenn ich nicht schreibe, lese ich gerne. Ich brauche viel Zeit für mich, hänge meinen Gedanken nach, träume. Wenn ich nicht eigenbrötlerisch bin, verbringe ich gerne Zeit mit meinem Mann und meinen Freunden, koche, esse oder stromere durch die Stadt. Lange Zeit habe ich auch regelmäßig geritten, nur habe ich hier derzeit nicht die Möglichkeit dazu.

Wann hast du mit dem schreiben begonnen?
Das war vor gut vier Jahren, also mit Anfang 30. weiterlesen…