[ROMAN] … wenn es Zeit ist … von Florian Tietgen

Autor: Florian Tietgen
Taschenbuch:  212 Seiten
ISBN: 978-1491285527
Preis: 3,99 EUR (eBook) | 9,99 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Der sechszehnjährige Henrik unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von seinen Mitschülern und ist zeitgleich seinem prügelnden Vater erschreckend ähnlich, da auch er den Hang hat seiner Wut die Zügel zu lassen und um sich zu schlagen. Zeitgleich stecken vollkommen ungeahnte Fähigkeiten in ihm, die er sich nicht erklären kann. So sieht er die farbigen Auren, die Menschen umgeben und ist in der Lage Verletzungen, Krankheiten und Brüche allein mit seinem Atem zu heilen. Allerdings glaubt daran eher seine Freundin Michi, während Henrik die meiste Zeit damit beschäftigt ist, seine Wut zu kontrollieren und sein Leben zu meistern. Als er einem Kind nach einem Autounfall das Leben rettet und die Presse auf den Wunderheiler aufmerksam wird, ändert sich Henriks leben schlagartig – zum einen bittet ihn sein Mitschüler Jan um Hilfe, den er schon längere Zeit mag, zum anderen drängt sich die geheimnisvolle Kiste seiner Großmutter immer stärker in seine Gedanken, die er erst öffnen darf, wenn es Zeit ist …

Eigene Meinung:
Der vorliegende Roman stammt aus der Feder von Florian Tietgen, der bereits etliche Romane und Novellen geschrieben hat. Zu seinen bevorzugten Genres gehören Krimi und Thriller, jedoch auch belletristische Werke und Jugendbücher, die zumeist durch homosexuelle Hauptfiguren aus der breiten Masse hervorstechen, zu dem auch „… wenn es Zeit ist …“ gehört.

Der Einstieg in die Geschichte fällt nicht leicht, da Florian Tietgen dieses Mal mit etlichen Zeitsprüngen und Einschüben verwirrt, die zu einer Vielzahl kurzer Kapitel führen. Mit er Zeit kommt man zwar dahinter, welches Ziel der Autor damit verfolgt, doch es dauert gut ein Drittel des Buches, bis man sich daran gewöhnt hat, das manche Passagen gerade einmal eine halbe Seite umfassen, bevor ein zeitlicher Sprung von fünf bis zehn Jahren kommt und eine Episode aus Henriks Vergangenheit beleuchtet wird. Insgesamt wäre es schöner gewesen, wenn die Geschichte kontinuierlicher erzählt worden wäre, auch wenn auf diesem Weg die Geheimnisse und Schlüsselereignisse erst nach und nach preisgegeben werden.
Wie auch bei „Das Haus der Jugend“ wird einem keine leichte Kost präsentiert und auch dieses Mal werden fantastische und mysteriöse Elemente mit einer realistischen Handlung verknüpft, ohne dass man das Gefühl hat in einem Fantasyroman gelandet zu sein. Trotz Hendriks Fähigkeiten ist „… wenn es Zeit ist …“ durch und durch realistisch gehalten und wirkt trotz der Zeitsprünge eher wie ein Entwicklungsroman. Das liegt vor allem daran, dass man durch die Rückblenden eine Menge über Henriks Kindheit erfährt und sein Heranwachsen miterlebt. Obwohl viele Dinge geklärt werden, endet das Buch relativ offen, da im Grunde nur ein Bruchteil der Fragen beantwortet werden, die sich im Laufe der Zeit auftreten. Nichtsdestotrotz ist das Ende in sich stimmig und passt gut zur Geschichte.

Der homoerotische Teil hält sich dieses Mal stark in Grenzen. Henrik entwickelt zwar gesteigertes Interesse an Jan, der ebenfalls nicht uninteressiert ist, doch diese beginnende Liebe ist keineswegs Zentrum der Geschichte. Vielmehr geht es um Henriks Fähigkeiten, seine Vergangenheit und seine Familie. Dementsprechend sollten sich Fans schwuler Literatur bewusst sein, dass es in diesem Roman nicht um Beziehungsdramen und schwülstige Liebesschwüre geht und Erotik dementsprechend kaum vorkommt.

Mit Henrik ist Florian Tietgen ein ungewöhnlicher Hauptcharakter gelungen. Er ist sehr still, introvertiert und zerdenkt die meisten Probleme allein. Seine kaum bezähmbare Wut und seine Art schnell die Beherrschung zu verlieren, stehen im krassen Gegensatz zu seinen Fähigkeiten Menschen zu heilen und die Auren der Menschen zu sehen. Dennoch wirkt er realistisch und authentisch. Man kann sich gut mit ihm identifizieren und seine Gedanken nachvollziehen. Auch die Nebencharaktere sind in sich schlüssig und handeln logisch – sei es seine Freundin Michi, die mit ihrer fröhlichen, lockeren Art einen angenehmen Konterpart zu Henrik ergibt oder dessen Mutter, deren Vergangenheit ebenfalls ausgebaut wurde und daher eine wichtige Rolle einnimmt. Sie sind alle lebendig und geben der Geschichte und Henrik einen passenden Rahmen, um sich weiterzuentwickeln.

Stilistisch legt Florian Tietgen einmal mehr solide, gut geschriebene Kost vor, die sich stark von den üblichen Vertretern des Gay Genres abhebt. Das liegt zum einen an seinem erwachsenen, belletristischen Schreibstil, zum anderen aber auch an den realistischen Figuren und den ungewöhnlichen Geschichten. „… wenn es Zeit ist …“ besticht durch eine gute Charakterdarstellung, flüssige, lebendige Beschreibungen und einen schönen Einblick in die Zeit der 70er Jahre, in der der Roman letztendlich spielt.

Fazit:
Sobald man den Einstieg in Florian Tietgens Roman „… wenn es Zeit ist …“ geschafft hat und mit den vielen Zeitsprüngen klarkommt, erwartet den Leser eine ungewöhnliche, leicht fantastisch angehauchte Geschichte mit authentischen Figuren und unerwarteten Wendungen. Dank des belletristischen Schreibstils und der interessanten Aufbereitung des Grundthemas ist „… wenn es Zeit ist …“ durchaus empfehlenswert, insbesondere wenn man genug von stereotypen Geschichten und Charakteren im Gay Genre hat. Wem „Haus der Jugend“ gefallen hat, wird auch „… wenn es Zeit ist …“ mögen, wenngleich der Roman nicht ganz an erstgenannten Roman heranreicht, ebenso könnte der Roman auch für diejenigen von Interesse sein, die normalerweise keine schwule Lektüre bevorzugen.

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