[ROMAN] Drahtseiltänzer von S.B. Sasori

Autoren: S.B. Sasori
Taschenbuch:  280 Seiten
ISBN: 978-3734761218
Preis: 3,99 EUR (ebook) | 9,99 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Der junge Seiltänzer Ciro lebt mit seinem Bruder Marco von der Hand in den Mund – die kleinen Auftritte bringen gerade so viel Geld, um im Sommer über die Runden zu kommen; allerdings nicht die Wintermonate. Einziger Lichtblick ist Costa, ein reicher Firmenchef, der die Artisten für mehrere Feiern bucht. Sein Interesse gilt besonders Ciro, allerdings bevorzugt er dessen weibliche Seite Chiara, die für die staunenden Betrachter über die Drahtseile balanciert, da eine Frau mehr Geld einbringt. Über Marco arrangiert Costa schließlich ein wöchentliches Treffen mit Chiara und bezahlt den Brüdern dafür eine kleine Wohnung. Ciro ist mit der Situation nicht wirklich glücklich, doch ihm fehlt es an Alternativen, insbesondere da Marco die einzige Familie ist, die er noch hat und seine homosexuelle Neigung gepaart mit seinem Wunsch ab und zu eine Frau zu sein, auf keinerlei Verständnis und Gegenliebe stoßen.

Ciros tristes Leben beginnt sich zu verändern, als der deutsche Schüler Noah seine Ferien in der kleinen italienischen Stadt verbringt, in der Ciro und Marco leben. Noah, der erst vor kurzem ein unschönes Coming-Out hinter sich hatte, ist sofort Feuer und Flamme für Ciro, der sich ebenfalls in den jungen Mann verguckt. Doch ihr kurzes Glück währt nur kurz, denn viel zu schnell entdeckt Noah Ciros andere Seite, was beide Männer vollkommen aus dem Konzept bringt …

Eigene Meinung:
Mit dem Roman „Drahtseiltänzer“ legt S.B. Sasori endlich die vollständige Geschichte von Ciro und Noah vor, die einige bereits in Auszügen aus der deadsoft Anthologie „Yep – Warum nicht anders?“ kennen, wo ein Teil des Romans als Kurzgeschichte erschien. Diese hatte nicht nur ein offenes Ende, sondern bot auch viel Potenzial für eine längere Erzählung, so dass die Autorin die Grundidee zu einem Roman ausbaute. „Drahtseiltänzer“ erschien im Eigenverlag und ist in sich abgeschlossen.

Inhaltlich geht die Autorin ungewöhnliche Wege, denn bei den Figuren handelt es sich nicht um die typischen, schwulen Jugendlichen, und auch die Geschichte an sich läuft in anderen Bahnen. Natürlich steht die Romantik und die dramatische Liebesgeschichte zwischen Ciro und Noah im Zentrum, doch Ciros weibliche Seite und sein Faible diese hin und wieder auszuleben, sorgen für Abwechslung und Überraschungen. Eine klare Aussage, in welche Richtung sich Ciro bewegt, wird der Leser in dem Roman jedoch nicht finden, denn Begriffe wie Transsexualität oder Transvestitismus kommen überhaupt nicht zur Sprache, wenngleich Ciro per Definition am ehesten zu letzterem gehört. Dies ist jedoch auch nicht wirklich wichtig, da sich die Autorin auf das die Charaktere konzentriert und auf die inneren und äußeren Probleme. Dazu gehören Ciros Selbstzweifel- und hass ebenso wie Noahs Unsicherheit, Fragen und dem hin und her zwischen Faszination und Schrecken. Von außen sorgen Costa, der für die Illusion einer hübschen Begleiterin alles tun würde, und Marco, der seinen Bruder vorwiegend nutzt, um sein Leben einfacher zu gestalten und zu gewalttätigen Aktionen neigt, für Schwierigkeiten. In diesem Zusammenhang ist es schade, dass S.B. Sasori einige Fragen zum Ende hin unbeantwortet lässt: die Sache mit Costa wird nur teilweise geklärt, ebenso vermisst man eine klare Aussprache zwischen Ciro und seinem Bruder. Allgemein geht es am Ende fast zu schnell – nach all dem Drama, das Ciro und Noah durchstehen müssen, wäre es schön gewesen, wenn mehr Dinge geklärt worden wären.

Die Charaktere sind gut gezeichnet, ganz besonders Ciro, dem in seinem Leben wahrlich wenig Gutes widerfahren ist. Man versteht seine Ängste und Sorgen, kann sich gut in ihn hineinversetzen und leidet mit ihm, wenn es um seine teils geliebte, teils verhasste weibliche Seite Chiara geht. Zumeist wirkt er ein wenig schwach, doch dieser Punkt passt gut zu seinem Charakter, da ihm nur wenig Verständnis entgegengebracht wurde und die meisten eher Abscheu vor seinen Neigungen empfanden. Noah ist im Gegenzug dazu recht behütet aufgewachsen, wenngleich das Schicksal auch bei ihm hart zugeschlagen hat: der Verlust seines kleinen Bruders und sein verkorkstes Coming-Out. Dementsprechend sicher ist Noah im Umgang mit anderen Jungs und Männern, und kann sich recht schnell auf Ciro einschließen, wenngleich er dessen kleines Geheimnis fast zu schnell akzeptiert. Dennoch ist auch er gut nachvollziehbar und in sich schlüssig, so dass man sich auch sehr gut mit ihm identifizieren kann.

Auch die Nebenfiguren sind gut gelungen, hin und wieder bleiben sie jedoch zu blass. Gerade Marcos Gedanken und Beweggründe kann man nur schwer begreifen. So erfährt der Leser weder warum er mit Ciro geflohen ist, noch weshalb er so lange mit seinem Bruder durchs Land reist. Man versteht ihn einfach nicht. Costa ist da schon besser gelungen, ebenso Noahs Familie.

Stilistisch legt S.B. Sasori gewohnt solide Kost vor – sie hat einen sehr eindringlichen, angenehmen Schreibstil, der von Anfang an zu fesseln weiß und einen sehr tiefen Einblick in die Gefühlswelten der Charaktere offenbart. Man ist den Figuren sehr nahe, kann jede Handlung nachvollziehen und leidet mit ihnen. Auch die Beschreibungen der Umgebung sind gut gelungen und er gelingt ihr das italienische Flair einzufangen. Einzig die Erotikszenen sind mitunter etwas gewöhnungsbedürftig, da die Autorin auf gängige Termini verzichtet und den Akt ein wenig anders in Szene setzt. Das ist nicht negativ auszulegen – die Erotik wirkt in „Drahtseiltänzer“ ansprechender als in manch anderem Gay Romance Roman.

Fazit:
„Drahtseiltänzer“ ist ein interessanter, gut geschriebener Roman, der mit einer ungewöhnlichen Grundidee und entsprechend einzigartigen Charakteren aufwartet. Wer Ciro und Noah bereits aus der Anthologie „Yep – Warum nicht anders?“ kennt und auf eine Fortsetzung gewartet hat, sollte sich S.B. Sasoris Roman nicht entgehen lassen. Ebenso sei das Buch Lesern ans Herz gelegt, die die üblichen klischeehaften Geschichten haben sind und sich nicht davor scheuen, etwas Neues zu wagen. „Drahtseiltänzer“ loht sich trotz einiger kleinerer Schwächen und bietet spannende und dramatische Unterhaltung. Lesenswert.

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