[CHARAKTERINTERVIEW] Steffen und Alex aus “Zerrspiegel”

Das folgende Charakterinterview entstand nach der Lektüre von “Zerrspiegel”. Daher enthalten sowohl die Fragen, als auch die Antworten Spoiler auf den gesamten Roman. Wer das Buch noch nicht kennen sollte, sollte dringend vorab die Geschichte von Steffen und Alex lesen – allen anderen wünsche ich viel Spaß beim Interview 🙂

Alex und Steffen, der seinen Künstlernamen Steve Simon weitestgehend abgelegt hat, treffen Juliane in einem ruhigen Strandcafé an der Weser. Sie sitzen nebeneinander in einem der Strandkörbe, die sich tief in den künstlich aufgeschütteten Sand gegraben haben. Ein gewaltiger Sonnenschirm mit dem Logo eines Bierherstellers verdeckt die freie Sicht für die anderen Gäste.

Juliane beginnt mit der ersten Frage, nachdem sie an ihrem Latte genippt hat: „Es ist toll, dass ihr beide euch die Zeit genommen habt, uns ein wenig mehr über euch zu erzählen und „Like a Dream“ Rede und Antwort zu stehen. Nur um klare Verhältnisse zu schaffen: Das ist eher ein Buchblog, denn ein Musikblog, sprich Alex wird sich wahrscheinlich wohler fühlen, oder?“

Alex scheint ein bisschen nervös zu sein. Es ist mit Sicherheit sein erstes Interview. Steffen grinst ihn an und wendet sich der ersten Frage zu: “Früher hätte ich dir da blind zugestimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal was anderes als eine Bedienungsanleitung für einen Amp gelesen hätte. Aber inzwischen ist das ziemlich anders. Lesen ist schon eine tolle Angewohnheit.”
“Und seitdem er die Bücher einmal für sich entdeckt hat, ist es manchmal echt schwer, ihn davon loszueisen”, fügt Alex hinzu.

“Das klingt danach, als sei er Stammgast in der Bücherei, oder füllt sich eure Wohnung mehr und mehr mit Romanen und Büchern?” Juliane sieht zwischen den beiden hin und her. Im Stillen fragt sie sich, ob die neu entdeckte Lesewut Steffens nicht auch anderweitig für Unstimmigkeiten sorgt. Sie entscheidet sich die Frage später zu stellen.

“Wie, füllen?”, fragt Alex lachend. “Ich meine, klar werden es mehr. Aber ich hab ja schon genug Zeug mitgebracht. So ist es ja nicht. Ehrlich gesagt bin ich meistens immer noch derjenige, der die neuen Sachen anschleppt und dabei schrecklich übertreibt.”
“Genau.” Steffen nickt und nippt an seiner Cola. “Ich besorge eher die Sachen fürs Studium. Und ehrlich, das meiste ist sowieso schon da. Wenn auch in irgendeiner Ecke. Keine Ahnung, wie oft ich schon mit irgendetwas nach Hause gekommen bin und Alex dann gesagt: ,Das haben wir doch schon.’ Ich hab da noch null Überblick. Gerade bei den ganzen Standardsachen. Goethe und sowas.” Er verzieht das Gesicht. “Das brauche ich ja eigentlich sogar gar nicht.”

“Na wenigstens ist sie Alex in dieser Beziehung treu geblieben.” Juliane grinst. “Ich teile da die Bücherleidenschaft, und mal unter uns: Ich habe nicht einmal einen Überblick über meine eigenen Bücher. Ich habe sogar des öfteren Romane gekauft, die schon bei mir daheim stehen und die ich jetzt doppelt habe.” Juliane schaut einigen Mädchen hinterher, die sich den Hals in Steffens Richtung verrenken. “Seid ihr eigentlich umgezogen, oder habt ihr noch immer die kleine Wohnung in der Innenstadt? Wie lang lebt ihr jetzt schon zusammen?”

Steffen lächelt den Mädels kurz zu, verzieht sich aber gleich darauf tiefer in die Ecke des Strandkorbs. Seine Hand ruht dabei mit großer Selbstverständlichkeit auf Alex’ Bein. Eine Bedienung fragt die Mädchen nach ihren Wünschen und drängt sie freundlich zu einem freien Platz. Anschließend zwinkert sie den Jungs zu. Anscheinend gibt es hier eine Absprache …
“Das kann mir nicht passieren. Ich habe eine Liste im Web, auf die ich über Handy immer Zugriff habe”, erzählt Alex. “Berufskrankheit quasi.“
“Er wird hysterisch, wenn ich nicht alles brav eintrage, was ich gekauft habe”, verrät Steffen mit einem teuflischen Grinsen. Alex nimmt den kleinen Seitenhieb nicht übel. Er lacht und streckt seinem Freund die Zunge raus. “Wir sind inzwischen umgezogen”, fährt Steffen fort. “Wir leben inzwischen in einem kleinen Haus im Außenbereich von Bremen. Nichts Dolles. War aber nötig.”
“Genau. Wir brauchen einen Raum für die ganzen Instrumente.”
“Und für die Reste von der Bibliothek von Alex’ Großvater.” Steffen macht ein betroffenes Gesicht. “Ist ja leider nicht mehr so viel übrig.” Sie wechseln einen Blick.
“Naja, und die Nachbarn waren auch nicht so begeistert, einen Musiker im Haus zu haben”, sagt Alex schnell. Das Thema Großvater scheint ihm nicht zu behagen.
“Oh, und es sind jetzt … öh …”
“Etwas über ein Jahr”, ergänzt Steffen.

“Das freut mich sehr für euch. Und keine Sorge, ich frage jetzt nicht nach der Adresse.” Sie grinst und hebt die Schultern. “Das heißt, dass Steffen jetzt schon im dritten Semester ist, oder? Wie ist das Studium? Ich habe das Gefühl, Klassiker sind nicht so ganz deins – wenn man deinen Kommentar zu Goethe nimmt, aber mich interessiert doch, welche Bücher du besonders gern magst?” Mit einem kurzen Blick zu Alex fügt sie hinzu: “Die Frage ist für euch beide – mich interessiert brennend, was ihr so lest.”

“Ganz genau. Drittes Semester. Mal ehrlich: Ich habe nicht allgemein was gegen Klassiker. Aber manches Zeug … Weißte, da hat irgendwer irgendwann mal entschieden, dass das tooootal wahnsinnig literarisch wertvoll ist. Mag ja auch sein, dass da der Zeitgeist irgendwie eine Rolle spielt. Aber wenn ich mir die “Leiden des jungen Werthers’ anschaue … meine Fresse, was ein Geheul! Überhaupt, man hat manchmal das Gefühl, dass die Literaten nur das gut finden, wo am Ende alle über den Jordan gehen”, plappert Steffen los. Alex sieht aus, als ob er gleich in Ohnmacht fällt. “Andere Sachen sind richtig cool. Ich steh auf die alte Droste-Hülshoff. Und ich könnte stundenlang die Sachen von Poe, Lovecraft, Stoker und Stevenson lesen. Oder auch Mary Shelley. Die hatte viel mehr zu sagen, als die Leute immer so schnallen, glaube ich. Und sonst bin ich noch ziemlich am Anfang. Das ist wie eine Entdeckungsreise… ich mag Krimis. Thriller. Horror. Und solche Sachen wie Christopher Moore.”
“Moore ist klasse”, stimmt Alex zu. Er scheint sich halbwegs erholt zu haben. “Und was du für ein Problem mit Goethe hast, werde ich nie verstehen.”
“Zu viel Drama für mich.”
Alex winkt ab. “Banause. Jedenfalls: Ich mag Goethe. Faust, Clavigo … Tolle Sachen. Ich lese allgemein ziemlich quer. Mich sprechen ganz unterschiedliche Bücher an. Ich meine, in der Bücherei komme ich einfach mit ganz viel Material in Kontakt. Und da wird man automatisch neugierig. Ich sehe da auch kein Problem drin, heute ,Maurice’ zu lesen und morgen ,Harry Potter’. Möchtest du übrigens noch einen Kaffee, Juliane?”

Juliane muss sich ein Lachen verkneifen, während sie Steffens Ausführungen lauscht und stimmt einigen Punkten insgeheim zu. Allerdings entscheidet sie sich dafür, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. ‘Man will ja keine Beziehungskrise auslösen’, denkt sie, während sie der Kellnerin zuwinkt und sich einen Latte bestellt. “Wollt ihr noch etwas?” Nachdem die beiden ihre Bestellung aufgegeben haben, fährt sie fort: “Ich bin auch jemand, der quer durch den Garten liest. “Maurice” habe ich mal als Teenager angefangen und nach 10 Seiten aufgegeben. Gut 10 Jahre später, habe ich dem Buch eine zweite Chance gegeben und siehe da: Ich fand es unheimlich toll. Für einige Bücher muss man reif genug sein oder es zu einer passenden Gelegenheit lesen. Man ist nicht immer in der Stimmung für Klassiker und alte Geschichten.” Sie wendet sich an Alex: “Du hast ja von deinem Großvater eine wahre Bibliothek geerbt und auch wenn viele Werke verloren sind, gibt es unter den Schätzen eines, was dir besonders viel bedeutet?”

Zwei Colas und ein Windbeutel werden bestellt. Während Juliane sprach, haben die Jungs beide genickt. Als die Frage nach der Bibliothek des Großvaters gestellt wird, verdüstert sich Alex’ Miene. Auch Steffen wirkt plötzlich ein wenig angespannt.
“Naja, im Grunde hat mir ja die ganze Sammlung einfach viel bedeutet. Unabhängig vom Inhalt.” Alex presst die Lippen aufeinander. “Auf jeden Fall bedeuten mir die Bücher viel, die mein Opa mir früher vorgelesen hat. Aber da gibt es noch so ein Buch, einen ganz alten Schinken über Tiere und Pflanzen in den heimischen Wäldern. Das ist auf ganz dickem Papier gedruckt, mit Zeichnungen aller Tiere und Pflanzen. Ich kann mich erinnern, dass ich früher stundenlang in meinem Zimmer gesessen und darin geblättert habe. Lange bevor ich lesen konnte.”
“Oh, und die gebundene Lederausgabe vom Herrn der Ringe”, merkt Steffen an. “Oh ja, da hast du recht. Das ist wirklich ein Prachtstück. Gehört eigentlich in eine Vitrine.”

Juliane überlegt, ob sie weiter nachbohren soll. Sie wirft Alex einen mitfühlenden Blick zu. “Es tut mir sehr leid, was da passiert ist. Ich denke, ich verlagere meine Fragen lieber in eine andere Richtung, okay?”

“Da wäre ich echt nicht bös drum.” Dankbar lächelt Alex Juliane zu.

“In Ordnung, dann gehen wir doch mal in eine andere künstlerische Richtung, bevor ich euch zu eurer Beziehung ausfragen werde – ich hoffe, ich darf das.” Sie zwinkert beiden zu. “Steffen, du hast ja vor über einem Jahr dein Pseudonym Steve an den Nagel gehängt. Was für ein Gefühl war das für dich, diesem Lebensabschnitt ein Ende zu setzen? Gibt es Zeiten, wo du den Rummel und all das vermisst?”

Alex und Steffen tauschen einen verschmitzten Blick aus. “Kommt auf die Fragen an”, sagen sie zeitgleich und lachen.
Steffen schnappt sich seine Cola und fängt an, den Strohhalm zu zerkauen, bis er ganz platt ist. “Ehrlich?”, beginnt er. “Ich habe immer noch keine Ahnung, wie das jetzt wirklich ist und was es für mich bedeutet. Ich meine …”, er verdreht die Augen, “… es ist ja schon genug darüber geschrieben worden. War echt spannend zu lesen, was die Leute alles über mich wissen wollen, ohne je mit mir gesprochen zu haben. Egal. Es ist auf jeden Fall zwiespältig. Musik war mein Leben. Und ich dachte immer, dass ich sie verliere, wenn Steve Simon untergeht. Das ist natürlich Bullshit. Aber wenn man bis Unterkante-Oberkante in der Scheiße sitzt, schnallt man das nicht. Ich hab die Kontrolle verloren. Das heißt, erst wurde sie mir weggenehmen in Sachen Musik und dann habe ich die Kontrolle über mich selbst verloren. Trotzdem war es immer noch, als würde ich mir die Pulsadern aufschneiden.”
Alex rückt fast unmerklich näher an Steffen heran.
“Alles stand Kopf. Alles, was wichtig war, war dreckig geworden. Und nichts war mehr echt. Also war es am Ende trotz allem eine Erleichterung, dem ein Ende zu machen. Klar vermisse ich es. Ich vermisse die Bühne, die Fans, die Touren. Aber ich vermisse es nicht, gejagt zu werden und mir von jemandem, der keine Scheißahnung von Musik hat, in meine Mucke reinreden zu lassen.”

Juliane nickt leicht. “Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, so verfolgt zu werden und keinen sicheren Ort mehr zu haben. Aber ich bin froh, dass du den Absprung geschafft hast und dich in letzter Sekunde von dem ganzen Dreck befreien konntest. Ich will gar nicht wissen, wie hart das gewesen sein muss, alles, was einem etwas bedeutet hat, aufzugeben.” Sie lächelt und nickt Alex zu. “Wobei du ja nicht alles aufgegeben hast, oder? Immerhin hast du Alex zurückgewonnen und das ist immerhin wie ein Sechser im Lotto, nicht?”

Oh, ich habe noch viel mehr gewonnen als das. Mir kommt es inzwischen vor, als wäre ich während der heißen Jahre dauernd stoned in der Gegend rumgelaufen. Mit Scheuklappen drauf obendrein. Und Alex habe ich nicht nur zurückgewonnen. Er hatte viel mehr mit dem Prozess zu tun, mich selbst zu erkennen und mir klarzumachen, dass ich so auf Dauer nicht zurechtkomme. Glaub mir, es ist ein ätzendes Gefühl, eines Tages aufzuwachen und dir klarzumachen, dass du nur noch aufrecht stehen kannst, wenn du betrunken bist oder Tabletten intus hast. Man steht auf der Bühne und erzählt den Leuten, dass sie aufrecht zu sich stehen sollen, dass sie ihren Weg gehen sollen und selber ist man dieser kleine Pisser, der sich wie ein Ochse am Nasenring durch die Arena führen lässt.” Steffen hat sich in Rage geredet. Seine Nase ist ein bisschen rot geworden. Offenbar regt ihn das Thema immer noch auf.

“Beruhige dich, okay?” Juliane nippt unentschieden an ihrem Latte und überlegt, wie sie das Gespräch in ruhigere Bahnen lenken kann. “Es gibt immer Momente im Leben, wo man sich für einen falschen Weg entscheidet. Wichtig ist doch, dass man es schafft, seine Fehler zu erkennen und einen Weg hinaus findet. Dir ist das gelungen. Und ich denke doch, dass du die Musik nicht verloren hast. In eurer neuen Wohnung gibt es doch einen passenden Raum, wo du wieder das machen kannst, was dir etwas bedeutet – deine Musik, ganz einfach Steffens Musik. Kein Zwang, keine Idioten, die dir etwas vorschreiben und erst recht niemand, der die in eine Richtung drängen will, die dir nicht liegt.”
Sie überlegt und fügt hinzu: “So geht es mir als Autor auch: man will eigene Geschichten schreiben, eigene Ideen umsetzen, nicht das, was die großen Verlage gerne copy’n’paste mäßig auf den Markt werfen wollen.”

„Ich schätze, das ist ganz ähnlich”, schaltet Alex sich sein. “Es gibt eine bestimmte Mode, die dann endlos reproduziert wird. Ob es ja jetzt um Musik oder Bücher geht, ist wahrscheinlich gar nicht so wichtig. Es sind jedenfalls Kaufleute, die die Entscheidungen treffen. Keine Künstler. Es wird wohl immer schwierig, wenn die anfangen, gegeneinander statt miteinander zu arbeiten.”

“Ja, leider.” Juliane spielt mit ihrem Lippenpiercing und betrachtet die beiden nachdenklich. “Spielst du denn noch, Steffen? Ich meine im kleinen Kreis? Oder ist dir sogar das momentan zu viel?”

Steffen sieht fragend auf. Offenbar waren seine Gedanken in andere Richtungen abgewandert. “Nein, nein. Im Moment nicht. Also für mich allein schon. Es tut einfach gut, die Gitarren mal wieder richtig jaulen zu lassen. Aber in Sachen Band habe ich noch nichts unternommen.” Er zuckt die Achseln. “Es läuft mir nicht weg. Es gibt so viele Musiker, nach fünf oder sechs Jahren wieder aufgetaucht sind, mit frischem Material. Ich treibe mich da gerade nicht.”

“Kann ich verstehen. Was mich natürlich interessiert, ist, ob du inzwischen nicht mal den Versuch unternommen hast, mit den Jungs von “Terrific” in Kontakt zu treten? Immerhin habt ihr gemeinsam angefangen und hattet eine Menge Dinge, die ihr zusammen gemacht habt.”

Er wiegt den Kopf. “Ja, habe ich. Mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. Ein zwei von denen … naja, sie sind mir böse. Und ich kann’s verstehen.”
“Naja, deswegen hätten sie nicht so klar sagen müssen, dass sie froh sind, dass du auf die Schnauze gefallen bist”, grummelt Alex.
“Ach, ich kann’s verstehen”, gibt Steffen zu. “Wo war ich? Also ja. Nicht alle sind begeistert gewesen. Marcel war ja sowieso nie das Problem. Aber zwei von den anderen … mit denen habe ich inzwischen wieder Kontakt. Sie haben kaum noch mit Musik zu tun. Sind inzwischen beide Papa.” Er grinst. “Auch, wenn ich es mir das noch nicht richtig vorstellen kann. Wir reden ab und zu und wollen irgendwann mal eine Jam Session machen. Nur so aus Spaß”.

“Das klingt doch prima. Ich freue mich sehr, dass es sich zumindest in der Richtung wieder eingerenkt hat. Und manchmal dauert es bei anderen länger, bis sie einem verzeihen.” Er wirft Alex einen Blick zu und grinst. “Da dich Alex ja erfolgreich zu den Büchern gebracht hat, wie sieht es umgekehrt aus? Hast du Alex denn ein wenig zur Musik bringen können, Steffen? Ich gebe zu es interessiert mich brennend, ob Alex nicht mal den Versuch unternommen hat, Gitarre zu spielen.”

Die Bedienung bringt die Bestellungen. Steffen stürzt sich sofort mit glänzenden Augen auf seinen Windbeutel. Bevor man sich versieht, hat er den Mund voll. Alex guckt ein bisschen verdutzt, übernimmt dann aber schmunzelnd die Frage. “Es hat auch anders herum funktioniert. Ich überrasche mich selbst dabei, dass ich genauer hinhöre und mich mehr mit Musik beschäftige. Mein Gehör ist aber zum Beispiel nicht so gut wie Steffens. Ich würde es nie heraushören, ob die Streicher in einem Lied zum Beispiel echt sind oder von einem Synthesizer stammen. Und ich merke mehr und mehr, dass ich total gerne Sachen mag, die nicht aus der Konserve kommen.”
“Ich hab ihn neulich dabei erwischt, wie er in voller Lautstärke Manfred Mann’s Earth Band gehört hat, als ich heimkam”, wirft Steffen mümmelnd ein. “Er hat übrigens eine echt schöne Stimme. Ich bin total begeistert.”
“Naja, hält sich.” Alex bekommt ein bisschen rote Ohren. “Gitarre spielen habe ich nicht versucht. Mich irritiert das mit den Saiten. Oder ich hab zu dicke Finger. Aber Steffen hat ein E-Piano mitgebracht. Und da habe ich mich mal dran versucht. Die Ergebnisse halten sich noch in Grenzen, aber es macht Spaß.”

“Wow, das finde ich echt toll. Und jetzt würde ich zu gerne hören, wie du singst. Wer weiß, vielleicht komme ich ja irgendwann mal in den Genuss”, sagt sie lächelnd und stibitzt sich einen Windbeutel. “Ihr scheint wirklich gut zusammen zu passen. Das bringt mich gleich darauf, euch zu fragen, wie es in eurer Beziehung läuft? Für Steffen ist es ja die erste richtige Beziehung, für dich Alex die zweite, oder?”

“Keine zehn Pferde kriegen mich auf eine Bühne, keine Chance.” Alex lacht herzlich, schaut von seinem Freund zu Juliane und bestellt einen zweiten Teller Windbeutel.
Steffen zwinkert ihm zu. “Du kennst mich sooo gut.“
Dann wendet er sich an Juliane. “Stimmt schon. Meine erste. Alex’ zweite. Und tja. Eh. Wie läuft es denn?”
Alex schaut auch ein bisschen hilfesuchend. “Ja, gut, ne? Würde ich sagen. Oder?”
Steffen nickt. “Ich denke schon.” Sie fangen an zu lachen.
“Ich glaube, du musst ein bisschen genauer fragen”, sagt Alex lachend. “Wie du siehst, sind wir zusammen. Und glücklich darüber. Oder wolltest du wissen, wer die Wäsche wäscht?” Er grinst breit und klaut sich auch einen Windbeutel.

“Also ich will ja nicht zu sehr in eure Privatsphäre dringen – bin ja keiner dieser Journalisten, die Menschen so extrem auf die Pelle rücken. Ihr verratet, was ihr verraten wollt und gut ist. Dass ihr glücklich seid, freut mich sehr – ich mag es einfach, wenn sich zwei Menschen finden und trotz diverser Widerstände zusammen bleiben.” Sie blinzelt Alex zu “Und Bühne muss ja bei einem Song nicht sein – eine Privatvorstellung in Wiesbaden reicht – sprich fühlt euch eingeladen.”

“Ach, das passt schon. Solange man gefragt wird, kann man Nein sagen. Das ist okay für mich”, erklärt Steffen entspannt. “Schwierig wird es nur, wenn du wirklich bei jeder Gelegenheit bestürmt wirst. Zum Beispiel auf dem Weg zum Arzt oder so. Dann schleppst du dich dahin, mit einer dicken Influenza, siehst aus wie eine Wasserleiche und jemand fotografiert dich. Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass du AIDS hast.”
“Zum Beispiel. Ich hab ja auch einmal dran glauben müssen. In Sportklamotten, nachdem ich vom Laufen kam. Danach hatte Steffen einen “ungepflegten Freund”.” Alex scheint sich darüber eher zu amüsieren als zu ärgern. “Und das mit der Privatvorstellung überlege ich mich. Wenn du mich mit Essen lockst, könnte das sogar glatt klappen.”

“Diesen Worten entnehme ich, dass eure Beziehung unterdessen bekannt ist. Wie haben es denn deine alten Fans wirklich aufgenommen, Steffen? Deine alte Plattenfirma hatte ja wirklich Probleme, deine Homosexualität öffentlich zu machen.”

Steffen nickt. “Das war so eine Sache für sich. Es gab viele sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Fans waren größtenteils ganz cool, klar, gab ein paar böse Aktionen von einigen Mädels. Die meisten konnten damit aber besser als die Plattenfirma damals befürchtet hat. Die Öffentlichkeit, das war eine andere Geschichte. Einige waren total genervt. So nach dem Motto: ,Ach nö, noch einer. Die kriechen jetzt ja überall aus den Löchern.’ Andere Leute, von denen ich es vielleicht auch gar nicht erwartet hätte, haben sehr positiv reagiert und mir gratuliert. Es gab aber auch ein paar echt hässliche Aktionen.”
“Ein paar Leute haben sich zusammengetan und Steves Alben öffentlich verbrannt”, erzählt Alex leise. “Gab einen ziemlichen Tumult. CDs fangen nicht so gut Feuer. Also haben sie einen Brandbeschleuniger benutzt und damit das ganze Plastik von den Hüllen in die Luft gejagt. Die Feuerwehr war nicht begeistert.”
Steffen schüttelt den Kopf. “Das war schon eine doofe Erfahrung. Auch die Shitstorms, die es hier und da gab, waren echt übel. Zumal auch welche ausgerechnet aus den LGBT-Community kamen.”

Juliane schaut ungläubig drein. Man sieht ihr an, dass sie diese Aktionen weder mitbekommen noch erwartet hat. “Moment mal, da sind wirklich Leute hingegangen und haben deine CDs verbrannt??? Ich fasse es nicht!” Sie knirscht mit den Zähnen. “Und dass auch aus der LGBT.-Community böse Worte kamen, finde ich jetzt auch nicht so toll. Man, da will man doch nie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen – also wirklich.” Sie beruhigt sich und überlegt einen Moment: “Und deine Eltern, Steffen? Wie haben die darauf reagiert?”

“Ein paar Querschläger gibt es immer.” Alex scheint zu warten, dass Steffen etwas sagt. Als der keine Anstalten macht, antwortet er selbst: “Weißt du, das Problem war wohl, dass Steffen zu lange im Schrank war. Es gab so viele Berichte über Frauen, mit denen er was hatte. Das sieht jetzt natürlich aus, als hätte er absichtlich allen etwas vorgemacht. Klar, dass es dann heißt, dass er eine Klemmschwester ist, die erst
dann an die Öffentlichkeit geht, wenn es schick ist.”
“Man muss dazu sagen, dass ich nie Berichte über irgendwelche Frauen bestätigt habe. Aber natürlich auch nicht dementiert. Das muss ich schon zugeben.” Steffen lächelt nicht mehr. Erst, als Alex ihm locker den Arm um die Schulter legt, fährt er fort: “Meine Eltern? Das war noch so eine Sache. Meine Mutter … man sagt ja immer, dass Eltern Bescheid wissen. Sie wusste es. Mein Vater ist aus allen Wolken gefallen. Ich glaube, das erste, was er sagte, war: Das auch noch.’ Okay, das war nicht gerade das, was ich mir gewünscht habe. Aber ich schätze, man muss das Eltern erst mal zugestehen. Inzwischen sind sie ganz entspannt. Und mögen Alex sehr gern.”

“Das freut mich sehr. Ich finde ihr seid ein tolles Paar. Und man muss wirklich anerkennen, wie viel ihr schon gemeinsam durchgestanden habt. Ich denke mal, dass du unterdessen auch Alex’ Freunde kennengelernt hast, oder Steffen?”

“Vielen Dank, finde ich auch.” Steffen nimmt in einer rührenden Geste, die irgendwie nicht zu seiner abgewetzten Lederhose passt, Alex’ Hand und drückt einen Kuss darauf. “Und klar kenne ich Alex’ Freunde. Unsere Freunde. Und wir haben auch noch eine Menge anderer Leute kennen gelernt. Vor allen Dingen Männer. Aber das lassen wir hier lieber. Au!” Steffen hat gerade einen Ellbogenhieb von Alex kassiert.

“Oha, kommt da Eifersucht auf, oder irre ich mich da?” Juliane grinst und leert ihren Kaffee.

“Ne, absolut nicht. Aber wir wollten ja nicht ins Eingemacht gehen”, grinst Alex zurück. “Ich bin verdammt froh, dass Steffen und ich da auf einer Wellenlänge schwimmen.”

“Das heißt es gibt da nicht das ein oder andere Abenteuer, das wir jetzt besser nicht so detailliert erörtern?”

Der nervende Chronist – Raik Thorstad

“Wir mögen Abenteuer”, antwortet Steffen mit unschuldiger Miene. “Nicht immer, nicht überall. Aber manchmal …”

Juliane neigt sich ihnen verschwörerisch zu. “Wird es irgendwann wieder etwas von euch zu lesen geben – nicht in Form von Zeitungsberichten und Skandalen, sondern in Form von einer netten kleinen Episode von euch?”

Verwirrtes Schweigen. Steffen zieht die Nase kraus, Alex runzelt die Stirn. Dann erhellt sich Steffens Miene. “Ach, ich weiß, was du meinst. Der Chronist. Oh Gott. Keine Ahnung. Raik war zwischendurch anhängliche wie eine Schmeißfliege.” “Wie Filzläuse”, wirft Alex ein. “Ich weiß nicht, ob da jetzt noch einmal etwas aufgeschrieben wird. Ich würde es nicht für ganz unmöglich halten. Vielleicht so ein paar Seiten Kurzgeschichte. Mehr aber garantiert nicht. Wir sind ja jetzt quasi in ruhigem Fahrwasser. Das interessiert doch auch keinen.” Er zwinkert Juliane zu.

“Och, das würde ich nicht sagen.” Juliane zwinkert zurück und räuspert sich dann. “Fans interessieren auch ruhigere Zeiten und wenn es die Chance gibt, mehr über Alex’ ungeahnte Talente beim Singen zu erfahren, wären bestimmt viele gespannt, auf mehr. Aber da wir gerade bei eurem Chronisten sind – was haltet ihr denn von Raik? Wie ist sie so bei der Recherche?”

“Nicht viel”, gibt Alex umunwunden zu. “Raik ist ein elender Schnüffler. Da wird wirklich alles bis zum Exzess untersucht. Aber zumindest muss man sagen, dass sie nichts dazu gedichtet hat.”
“Das stimmt. Was sie aufschreibt, ist auch wirklich so passiert. Auch, wenn das eine oder andere ein bisschen peinlich ist. Aber ich glaube, das ist immer so, wenn man jemanden seine Geschichte aufschreiben lässt”, stimmt Steffen zu.

“Na, dann bin ich gespannt, ob ihr beide ihr noch einmal die Möglichkeit gebt, eine Episode aus eurem Leben niederzuschreiben.” Juliane wirft einen Blick auf die Uhr und zuckt zusammen. “So langsam wird es Zeit, euch mit meinen nervigen Fragen in Ruhe zu lassen, oder? Gibt es etwas, was ihr gerne noch wissen wollt – von mir, z.B.? Oder ist da etwas, was ihr den Lesern gerne mitteilen möchtet, oder von ihnen erfahren wollt? Im Anschluss dürfen nämlich die Leser noch Fragen stellen, sprich haltet euch für weitere Rückfragen bereit – dann aber via Mail?”

“Ich glaube, im Augenblick haben wir keine weiteren Fragen, oder Alex?”
“Nein, ich denke auch nicht”, bestätigt Alex. “Ich bin mal gespannt, wie das Interview am Ende aussehen wird. Ist ja auch mein erstes. Und was die Rückfragen angeht: Immer raus damit. Wie Steffen schon sagte: Nein sagen können wir ja immer noch, wenn uns was zu privat ist.”
Steffen winkt der Bedienung zu und bezahlt ohne Einwürfe zu dulden die gesamte Rechnung. Er blinzelt in die Frühlingssonne. “Vielen Dank, Juliane. Es war schön, einfach mal offen in einem Interview sprechen zu können. Ich, das heißt, wir wünschen dir ganz, ganz viel Erfolg mit deinem Blog und auch für deine Bücher.”
Alex streckt und rekelt sich. “Und den Lesern kannst du sagen, dass wir uns auf sie freuen.”

“Vielen Dank ihr Zwei. Es war toll, euch einmal privat kennen zu lernen und mit euch zu plaudern.” Sie lächelt, schiebt ihnen ihre Visitenkarte zu und steckt diskret die von Alex ein. “Ich melde mich garantiert nochmal, wenn ich im Nachhinein noch Fragen habe und um einen Termin für Wiesbaden fertig zu machen – ich koche zwar nicht, aber meine Freundin Tanja ist eine wirklich tolle Köchin. Wir würden uns freuen, euch mal bei uns begrüßen zu dürfen.” Sie atmet tief durch und packt ihre Sachen zusammen. “Ich wünsche euch noch einen wundervollen Sonntag – vielen Dank für das tolle Gespräch.”


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