Offener Brief an Piper und Nicole Gozdek (“Die Magie der Namen”)

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach Beendigung des Romans „Die Magie der Namen“ von Nicole Gozdek komme ich nicht umhin, dieses Leserbrief aus Sicht einer lesbischen Frau zu schreiben, die zutiefst verstört über das Ende des Romans und die damit einhergehende „Anpassung“ des Charakters Rustan war. Zu sagen, dass ich schockiert, wütend und entsetzt war, trifft es nicht im Mindesten. Vielleicht bin ich einfach zu selbstverständlich davon ausgegangen, dass unsere Gesellschaft offener und toleranter wäre; dass Bücher wie „Die Magie der Namen“ (die immerhin eine breite Masse erreichen) nicht auf solche Art und Weise mit sexuellen Minderheiten umgehen und diese auf solch negative Art und Weise darstellen. Mag sein, dass die Autorin dies nicht bezweckt hat, auch weil der Held Tirasan nicht wirklich schlecht oder herablassend von seinem besten Freund denkt, nachdem Rustan ihm seine Liebe gestanden hat (was mich tatsächlich überrascht hat – Rustan kam mir nie schwul vor). Dennoch bekommt dieser Teil der einen extrem schlechten Beigeschmack, als Tirasan am Ende die Wirklichkeit ändert, um alles Böse aus der Welt zu tilgen. Zu diesem Bösen, was der Held vernichtet, gehören auch Rustans Gefühle ihm gegenüber (und wahrscheinlich sämtliche Homosexualität), weil Tirasan mit diesen nicht klar kommt und lieber einen Kumpel hätte, der heiratet und mit dem er (ganz kumpelhaft) alt werden kann.

Die Außenwirkung auf mich als LGBT ist klar:

  • Homosexualität ist etwas Böses, da es zusammen mit dem Bösen von der Welt verschwindet
  • Es ist scheinbar vollkommen in Ordnung, dass Rustan von seiner Homosexualität geheilt wird, da seine Gefühle von Tirasan als nicht normal aufgefasst werden bzw. ihn unsicher machen
  • Rustans Wesensänderung wird einfach hingenommen, nachdem seine Homosexualität verschwunden ist (und sogar für gut befunden), als sei dies etwas Positives. Ein ganzer Charakter wurde grundlegend verändert und von seinem Wesen her absichtlich zerstört (was auch die sogenannten Homo-Heiler heutzutage in Kauf nehmen), ohne dass dies im Buch überhaupt schlecht bewertet wird – im Gegenteil. Tirasan ist glücklich, dass Rustan jetzt offener und fröhlicher daherkommt

Gerade nach dem Massaker in Orlando ist dies für mich ein Schlag ins Gesicht! Es mag ein Fantasy-Buch sein und nur wenige stören sich am Ende des Romans (was zeigt, wie wenig die Rechte von LGBT der Allgemeinheit etwas bedeuten). Aber von einem großen Verlag, der meiner Meinung nach dem Leser gegenüber eine gewisse Pflicht zu erfüllen hat, hätte ich mehr Sorgfalt beim Lektorat erwartet. Rustan hätte nicht schwul sein müssen – seine Homosexualität machte weder Sinn, noch war sie wichtig oder nachvollziehbar. Man hätte diesen Punkt ohne Probleme streichen können, ohne die Handlung grundlegend zu ändern und dieses Fettnäpfchen umschiffen können. Stattdessen wird er am Ende „geheilt“ und „angepasst“, damit er schön in den gesellschaftlichen Rahmen passt und ja nicht „anders“ ist. Das wirkt so herabwürdigend sexuellen Minderheiten gegenüber, dass mir die Worte fehlen.

Ich hoffe sehr, Sie oder die Autorin nimmt zu diesem Punkt Stellung – es ist mir wichtig, zu erfahren, warum auf diese Art und Weise diese Thematik im Buch aufgenommen und umgesetzt wurde. Für LGBT ist diese Darstellung auf jeden Fall erniedrigend und demütigend, die ich scharf kritisiere.

Der Brief wurde offen auf meinem Blog „Like a Dream“ (www.like-a-dream.de) gepostet.

Mit freundlichen Grüßen,
Juliane Seidel

0 Gedanken zu „Offener Brief an Piper und Nicole Gozdek (“Die Magie der Namen”)“

  1. Liebe Juliane Seidel.

    Das Ende ist nicht das Ende, um es mal so zu sagen. Im zweiten Teil wird das Ganze noch mal aufgegriffen und wahrscheinlich nimmt es eine andere Wendung. Ich hatte mit der Autorin schon genau über dieses Thema gesprochen. Schreib die Autorin einfach mal an und frag danach, sie ist total lieb und wird dir bestimmt gerne Auskunft geben. 🙂

    1. Die Autorin hat den Brief natürlich erhalten – und ich freue mich auf eine Rückmeldung von ihr. Dass das Thema in einer Fortsetzung aufgegriffen wird, finde ich gut – nur weiß davon fast niemand. Es steht nirgendwo, dass es fortgesetzt werden soll. Selbst dann finde ich das Ende des Buches bedenklich – es wirkt einfach falsch.

      Ich hab eine Weile überlegt, ob ich das offen schreibe, aber man muss Dinge auch mal aussprechen und zu einer allgemeinen Diskussion anregen. Das ist gerade heute wichtiger, denn je.

  2. Liebe Juliane,

    es tut mir leid, dass bei dir und bei anderen Lesern ein falscher Eindruck über meinem Roman und meine Absichten entstanden ist. Ich möchte daher gerne mal auf das Thema eingehen.

    1.) Rustan ist schwul – und er bleibt auch schwul (auch wenn ich damit jetzt spoiler). Dieser Aspekt bestand seit Anfang an, er wurde nicht nachträglich eingefügt, erst recht nicht, damit sich die Geschichte besser verkauft. Dass er in Tirasan verliebt ist, erklärt, wie er als die Verkörperung der Loyalität Tirasan so anders behandelt als den Rest seiner Freunde und sogar seinen besten Freund beim Aufbruch auf die Reise zurücklässt.

    2.) Das Ende war kein Versuch, jemandem von seiner Homosexualität zu “heilen”. Um Gottes willen! Wer meine Geschichten kennt, weiß, dass homosexuelle Figuren dort (fast) immer eine Rolle spielen und zwar nicht die Schurken. Rustan und die anderen Figuren sind schwul und das ist auch gut so. Ich würde keinesfalls versuchen, sie zu “heilen”, genauso wenig wie ich das bei meinem besten Freund tun würde, der übrigens auch schwul ist.

    3.) Es ist eine Geschichte, die einer inneren Erzähllogik folgt. Wollte ich, dass Tirasan dies tut? Nein, aber ALLES ANDERE PASSTE EINFACH NICHT ZUR GESCHICHTE! Ja, ich weiß, dass das Ende für Aufregung sorgen kann. Aber ich wollte damit keineswegs Homosexualität als etwas Schlechtes darstellen.

    4.) Was genau passiert am Ende? Tirasan setzt unbewusst Magie ein. Dass das sowohl eine positive und eine negative Seite hat, kann ich jetzt sagen, ohne zu viel über das Ende zu verraten.
    WOLLTE er, dass Rustan nicht mehr schwul ist? Darauf kann ich mit einem ganz klaren Nein antworten.
    Hat er seine Homosexualität ausgelöscht? Auch ein ganz klares Nein.
    Was also hat Tirasan getan? Findet er es gut, was passiert ist und was er nicht absichtlich gemacht hat? Nein, er hatte ein falsches Bild von seinem besten Freund und das bemerkt er erst zu spät und deshalb macht er hat einen Fehler. Das war das Problem. Eigentlich sieht er Rustan nicht als jemand, der in ihn verliebt ist, das Liebesgeständnis (was für mich absolut Sinn macht und richtig ist), war von ihm noch nicht verdaut. Als er die Welt ändert, zeigt das nur seine bewusste und unbewusste Sicht auf die Welt, die dann Wirklichkeit wird.

    Aber ist seine Magie wirklich stärker als zum Beispiel Rustans Gefühle? Das war eine der Fragen, von der ich wollte, dass sich die Leser sie stellen. Die Antwort ist eigentlich für die Fortsetzung geplant gewesen. Aber ich verrate sie jetzt. NEIN, Tirasans Magie ist nicht stärker als Rustans Gefühle. Sie verschleiert sie für eine Zeit lang. Sie ändert nicht, wer Rustan ist. Rustan vergisst nur eine Weile, dass Tirasan nicht nur sein bester Freund ist und er in ihn verliebt ist.

    Es tut mir leid, dass ein falscher Eindruck entstanden ist und sich jetzt Personen verletzt fühlen, Das lag nie in meiner Absicht. :'(

    1. Hallo Nicole,

      ich danke dir herzlich für deine offene und ausführliche Antwort. Im Grunde war mir schon klar, dass du all das nicht bezweckt hast. So etwas würde ich niemandem unterstellen. Es ging halt einfach um die Außenwirkung, die das Ende hat. Mir hat das leider massiv aufgestoßen, eben weil es so endgültig wirkt. Als Leser weiß ich ja nicht, dass all die Dinge, die du auflistest noch geschehen bzw. geplant sind. Bis vorhin wusste ich nichts von einer Fortsetzung – ich kannte nur das Ende und das fand ich unglücklich formuliert. Vielleicht hätten ein paar klare Worte in der Danksagung dafür gesorgt, dass ich keinen Brief geschrieben hätte – dennoch war mir einfach wichtig, diesen Punkt aus meiner Sicht darzulegen, denn so wie mir geht es vielleicht vielen. Nicht jeder setzt sich dann hin und schreibt einen offenen Brief – viele machen sich im Stillen Gedanken. Und es wird mit etwas Pech auch einige geben, die Rustans “Anpassung” gut heißen und Tirasan zustimmen (was ja nicht das ist, was du erreichen willst).

      Egal wie – vielen Dank für deine Offenheit. Ich bin inzwischen auch ruhiger und dank deiner Antwort ein wenig ausgeglichener. Ich werde mal schauen, ob ich die Fortsetzung lese (du siehst am Blog ja, dass ich ein Faible für queere Literatur habe), denn ein wenig neugierig bin ich jetzt schon.

      Liebe Grüße und danke für deine Offenheit,
      Juliane

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